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Schon äußerlich war Pasquale Paoli das Gegenteil des wilden, ungehobelten
Naturburschen Sampiero Corso. Er war ein Gentleman mit Perücke, der sich mit
Vorliebe in Seide und feines Leder kleidete. Er hate in Neapel studiert, hate eine
vorzügliche militärische Ausbildung genossen und war mit den ökonomischen,
staatspolitischen und philosophischen Schriten seiner Zeit vertraut. In kürzester
Zeit gewann er das Vertrauen der Korsen und wurde trotz seines anfänglichen
Zögerns im Juli 1755 zum General der Nation gemacht.
Die Insel muss in einem erbärmlichen Zustand gewesen sein, die Felder lagen
brach, die Korsen hausten in den Bergen und waren in blutige Familien-
streitigkeiten verwickelt. Weil er seine Landsleute kannte und wusste, dass sie im
Zweifel in der Lage waren, sich gegenseitig auszuroten (wenn es schon die frem-
den Herrscher nicht geschat haten), machte er sich daran, eines der größten
Übel aus der Welt zu schafen: die Blutrache. Seine Regierung erließ ein Gesetz,
wonach die Vendeta mit dem Tod bestrat wurde. Er ließ Missionare und Predi-
ger durchs Land ziehen und gegen diese Form der Selbstjustiz wetern, und er re-
iste höchstpersönlich über die Insel und versöhnte Familien, die gegeneinander
Krieg führten.
Innerhalb weniger Jahre gelang es ihm, Korsika in eine blühende Landschat zu
verwandeln. Die Landwirtschat lorierte, Fabriken und Schulen entstanden, ei-
gene Münzen wurden geprägt, eine Universität wurde gegründet, deren Profess-
oren ausnahmslos Korsen waren, und mit Isola Rossa, dem heutigen L'Île-Rousse,
wurde eine neue Hafenstadt gebaut, das korsische Gegenstück zum genuesischen
Calvi. Paoli lehnte eine Berufsarmee ab und zog statdessen die allgemeine
Wehrpflicht und Volksbewafnung vor. Eine Ausnahme bildeten lediglich zwei
stehende Regimenter von je 400 Soldaten. Gegen die immer noch intakte genues-
ische Seeblockade baute er eine kleine Flote auf.
Die politischen Gesetze waren die fortschritlichsten ihrer Zeit, sie trugen
bereits die Grundzüge moderner Staatsverfassungen.
Dies ist der Moment, an dem Korsika beinahe in den Lauf der Weltgeschichte
eingetreten wäre. Denn niemand anderes als der berühmte französische Philo-
soph Jean-Jacques Rousseau trug sich mit dem Gedanken, eine Verfassung für die
Insel zu schreiben. Er war begeistert von dem Eiland und ihren Bewohnern und
hate sich in seinem politischen Vermächtnis, dem »Contrat Social«, quasi selbst
angedient: »Es gibt in Europa noch ein Land, das zur Gesetzgebung befähigt ist:
Das ist die Insel Korsika. Die Tapferkeit und die Standhatigkeit, mit der dieses