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icco, der damals die Ferien bei seinen Großeltern verbrachte, schlief bereits, als
ihn sein Opa weckte, weil er die Verlängerung am Bildschirm nicht allein verfol-
gen wollte. »Das letzte Mal, dass mich zuvor jemand miten in der Nacht geweckt
und vor den Fernseher geschleppt hate, war, als der erste Mensch den Mond be-
trat.« Soweit Baricco (ein Fan des FC Turin) zur Bedeutung des Spiels am 17. Juni
1970.
Der Soziologe Nando Dalla Chiesa hat ein kleines Buch über »La partita del
secolo«, das Spiel des Jahrhunderts, geschrieben. Mit dem Wirtschatswunder der
Sechzigerjahre kam ein Fernsehgerät in fast jeden Haushalt. Die Weltmeister-
schat in Mexiko wurde dann zum ersten gemeinsamen TV-Erlebnis der Italiener.
Sogar viele nationalkritische Achtundsechziger holten miten in der Nacht die
Landesfahne aus dem Schrank und rannten auf die Piazza. Denn besiegt wurde
nicht irgendwer. Besiegt wurde Deutschland, das sich damals größer, reicher und
erfolgreicher präsentierte als das als zurückgeblieben empfundene Italien. Ein
wirtschatlich autrumpfendes Land, in das Italiener fahren mussten, um Arbeit
und Geld zu suchen. Und aus dem Touristen und vor allem große blonde Touris-
tinnen kamen, um in Italien Erholung und glutäugige Latin Lover zu suchen. Und
jetzt hate der Zwerg die arroganten, reichen, blonden Deutschen vier zu drei be-
siegt.
Man hate nicht die Mauertaktik, den catenaccio, benutzt (den ein Trainer wie
Arrigo Sacchi heute noch für reaktionäre Fußballtaktik hält), sondern Kampf und
Spielwitz. Boninsegna, Riva und Rivera gegen Schnellinger, Müller und »Uns
Uwe« Seeler. Dieser Sieg war für das Land sicher wichtiger als später der Gewinn
des Weltmeistertitels gegen die Deutschen in Madrid 1982 (drei zu eins im End-
spiel). Damals, 1970 im Aztekenstadion, vollbrachte die italienische Elf das, was
die »Helden von Bern« 1954 für Deutschland vollbrachten: das Wunder.
Manche Deutsche haben das vier zu drei ebenso wenig vergessen, wie sie die
Spielweise der azzurri verdauen können. Als sich die italienische National-
mannschat bei der Fußballweltmeisterschat 2006 ausgerechnet in Deutschland
mit dieser Spielweise aus der Abwehr heraus erfolgreich von Runde zu Runde bis
in die Endphase vorarbeitete, schäumte der deutsche Neid über. Auf den Spiegel-
Online-Seiten erschien unter dem Titel »Eingeölt und angeschmiert« eine Glosse
über den italienischen Mann, dessen Lebensgrundlage die »schmachtenden
Blicke deutscher Urlauberinnen« seien. In dem Text wurde eine Palete unter-
schwelliger Ängste deutscher Männer formuliert: der Italiener nicht nur als
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