Travel Reference
In-Depth Information
und welche Rückschlüsse sich daraus für die Entwicklung des gesamten Tages
ergeben. Dann erfahre ich, dass der Bäcker nebenan heute wegen eines Trauer-
falls erst später öfnen wird. Als wir noch in der alten Wohnung lebten, wurde
Lidia eines Tages auf dem Weg zur Arbeit die Aktentasche vom Gepäckträger des
Fahrrads gerissen - mit ihrem Portemonnaie und sämtlichen Ausweisen. Ein
richtiger scippo (Kleindiebstahl) vom frisierten Motorroller aus, wie man das im-
mer in der Zeitung liest. Ich hab das natürlich, stinksauer und auf Italien
luchend, in der Bar an der Ecke der ganzen Welt kundgegeben. Ein, zwei
Wochen darauf klingelte der barista an unserer Haustür: Soeben sei ihm zu
Ohren gekommen, dass die Tasche bei der Post aufgetaucht ist. Mit allen Papier-
en, allerdings ohne das Geld…
Mitags trefen sich die Angestellten aus den nahen Büros zu einem Snack, einem
Salat, einer Pasta oder einem Gemüseteller. Wenn man als Tourist nicht groß im
Restaurant essen gehen möchte, sollte man es ihnen nachmachen - man spart
viel Geld. Einen Pausen- caffè gönnt man sich irgendwann am Nachmitag oder
manchmal auch nur einen Schluck Wasser. Und dann rückt eine wichtige Er-
rungenschat in der Geschichte der Bar näher, die Happy Hour.
Im westlichen Norditalien, im Piemont und in der Lombardei hat es immer
schon eine regelrechte Aperitikultur gegeben: Campari mit und ohne Soda, Sekt
oder Bier oder die bunten Kalorienbomben der analcolici , der nicht alkoholischen
Bitergetränke. Inzwischen sind Cocktails auf hochprozentiger Basis dazugekom-
men. Auf dem Tresen stehen ab 18 Uhr Teller mit allerlei Brothäppchen, Käse,
Oliven, kleinen Essigzwiebeln, Salatstückchen und Salzgebäck - ein kleines anti-
pasto . Nach 20 Uhr schließen die meisten Bars. Aber irgendwo hat immer eine für
Nachtschwärmer geöfnet - und noch später, wenn es Morgen wird, eine für
Frühaufsteher.
Manchmal kann man in einer Bar Zigareten kaufen (die Bar-Tabacchi mit dem
großen T-Logo) und neuerdings hier und da Zeitungen. Normalerweise hält man
sich öter, aber nie lange in einer Bar auf. Doch indet man gelegentlich eine
kleine Stammtischgruppe - im Norden sind es meist Rentner, im Süden ot
arbeitslose Männer im besten Alter, die bereits am Vormitag das eine oder an-
dere Gläschen trinken. Und bald ziehen sie alle Register ihrer rhetorischen
Fähigkeiten, um die man die Italiener richtig beneiden kann. Hier führt selbst der
Dümmste Reden wie Cicero vor dem Senat.
Search WWH ::




Custom Search