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es darum, die Italiener zu schafen.« Das scheint bis heute nicht gelungen zu
sein - trotz des römischen Zentralismus, der gerade durch eine hetige Debate
über Föderalismus und Regionalisierung infrage gestellt wird. Nach wie vor sind
die Neapolitaner lebhat, skeptisch und trotz der großen sozialen Probleme meist
guter Laune, die Sizilianer verschlossen und pessimistisch, die Lombarden
geschätstüchtig, die Piemontesen leißig, die Ligurier sparsam, die Toskaner ge-
witzt, die Römer herzlich, aber plump - warum sollten sie »italienisch« werden?
Italienisch an Italienern, so habe ich gelernt, ist das Bedürfnis, bella igura zu
machen. Nun wollen auch wir Nichtitaliener bella igura , also einen guten
Eindruck machen. Aber bei den Italienern reicht das tiefer. Ein Turiner Bekannter
erzählte mir, wie er an einem Sonntagmorgen eine auto- und menschenleere
Straße bei roter Ampel überquerte. Aus den Augenwinkeln sah er noch einen vi-
gile , einen städtischen Polizisten, vorbeigehen, der ihn prompt herbeizitierte.
Mein Bekannter verteidigte sich: eine menschenleere Straße, da gäbe es doch
keinen Grund zu warten. Der Beamte sagte, die Straße sei nicht das Problem, die
Ampel auch nicht, aber ob er ihn, den vigile , nicht gesehen habe? Welche igura
würde er als Ordnungshüter abgeben, wenn man in seiner Gegenwart die Ord-
nung nicht ernst nehme? Man sollte also allen Italienern, den Ordnungshütern
voran, immer die Gelegenheit geben, bella igura zu machen. Sie werden es Ihnen
herzlich danken.
Jeder Italiener kultiviert stets seine individuelle Note, besonders, wenn er sich in
der Masse bewegt. Wer je an einem Sonntagabend im Stau auf der Autobahn vor
dem casello , der Mautstelle, steht, kann es in den erstaunten Augenpaaren in den
Nachbarautos lesen: Warum sind all die anderen eigentlich hier? Diese individu-
alistische Grundhaltung hat übrigens auch dazu geführt, dass in Italien die Kom-
munistische Partei - solange es sie noch gab - die freiheitlichste unter ihren
europäischen Schwesterparteien war. Was beweist, dass in Italien Alltag und
Politik aufs Spannendste verbunden sind - woraus der ehemalige Ministerpräsid-
ent Silvio Berlusconi mit einer unverfrorenen Mischung aus privat und öfentlich
ein ganzes Programm gemacht hat. Aber auch in der Politik würde jeder Italiener
am liebsten eine eigene Partei bilden, die seine ganz persönlichen Interessen ver-
trit. Es trit ihn hart: Wie an der Mautstelle muss man als Individualist eben
Kompromisse schließen und sich irgendwo einreihen (nachdem man aber schnell
noch mal jemanden überholt hat). Vielleicht sind deshalb der Kompromiss und
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