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Wie einst die Päpste in der Renaissance und im Barock für ihre Familien
Ämter, Posten und sogar eigene Staaten schufen, so entstanden in der Nach-
kriegszeit aus »familiären« Versorgungsgründen und ohne gesellschatliche Not-
wendigkeit Hunderte von staatlichen Einrichtungen mit einer Unzahl von Posten,
die unter den regierenden Politfamilien aufgeteilt wurden.
Was wäre ein Buch über Italien ohne den Hinweis auf die Familienbande im or-
ganisierten Verbrechen (siehe Seite 179)? Die großen kriminellen Maiavereini-
gungen wie Cosa Nostra (Sizilien), N'Drangheta (Kalabrien), Sacra Corona Unita
(Apulien) und Camorra (Kampanien) spiegeln natürlich Familienstrukturen wider
und haben sie, wie wir alle aus dem »Paten« wissen, in die USA exportiert.
Machtkämpfe der Maia werden nach wie vor zwischen rivalisierenden »Famili-
en«, so nennen sich die Banden selber, ausgetragen. Innerhalb dieser Gruppen
gibt es Erkennungsriten wie zum Beispiel den Familienkuss. Dass er ihn einmal
mit einem Maiaboss ausgetauscht haben soll, wäre dem christdemokratischen
Politiker Giulio Andreoti beinahe zum Verhängnis geworden. Doch ein Gericht
in Palermo sprach Andreoti - für einen Teil der Anklage - frei. Im organisierten
Verbrechen wie in der Politik oder im Privatbereich war und ist das Wohl der
Familie das wichtigste Ziel, dem sich alle Mitglieder unterzuordnen haben. Denn
die Familie gilt vielerorts immer noch als die einzige soziale Institution, die Sich-
erheit verspricht.
Als höhere Instanz kann sich allenfalls noch die Kirche verstehen. Die (kathol-
ische) Religion spielt deshalb innerhalb der Familien eine wichtige Rolle. Es gibt
gerade in Wohnungen einfacher Menschen, meist auf der Anrichte, eine Art
Hausaltar, der mit den merkwürdigsten Gegenständen der Verehrung dekoriert
ist - alles hat hier Platz, nur Geschmacksfragen nicht. Doch trotz Messe und ora-
torio (Jugendbetreuung in der Gemeinde) bleibt auch der Einluss der Kirche be-
grenzt, wenn es um das Wohl der Familie geht. Nonna Antonieta sagte, sie
glaube an Got, nicht an den Priester.
Ist das heute alles noch so? Wer sich länger in Italien aufgehalten hat, weiß
von Familiengeschichten der unterschiedlichsten Art zu erzählen. Zum Beispiel
wird heute noch der Posten eines Aufsehers in den (staatlich verwalteten) Aus-
grabungen Pompejis vom Vater auf den Sohn »vererbt«. Zwar scheint Italien in
den letzten Jahren mit Siebenmeilenstiefeln in die Moderne und in die Zukunt zu
stürmen, doch bleibt der Sinn für die Familie und das Misstrauen gegenüber den
»fremden« Institutionen in breiten Volksschichten fest verankert. Silvio Ber-
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