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Toten, die in den Katakomben Neapels liegen, werden verehrt und geschmückt.
Die Sorge um die Seelen der lange Verstorbenen (von denen man sich zugleich
Hilfe im Alltag erwartet) ist keine Erinnerungsplege, sondern »Auhebung des
Vergangenen im Gegenwärtigen«, wie Dieter Richter in seinem schönen Buch
über »Neapel. Biographie einer Stadt« schreibt. Die deutsche Künstlerin Rebecca
Horn hate den Kult der »armen Seelen« zum Ausgang einer großen Installation
gemacht, als sie vor einigen Jahren zu Weihnachten 333 gusseiserne Schädel auf
die zentrale Piazza del Plebiscito schrauben ließ. Nach Abschluss der Installation
wanderten die Schädel in ein Lager, einige von ihnen sind heute im MADRE, dem
neuen Museum für Gegenwartskunst im restaurierten Palazzo Donnaregina aus-
gestellt; mit Spiegeln davor, in denen der Betrachter sein eigenes Antlitz
wiederindet.
Dass das Leben in Neapel nicht einfach sein kann, lässt sich bereits aus der
Statistik ablesen. In keiner europäischen Metropole gibt es weniger Grünläche
als in Neapel. Neapel ist dennoch eine unglaublich vitale Stadt, voller Wider-
sprüche, aber mit einem (Über-)Lebenswillen, der mich immer wieder fasziniert.
Man hot auf sein Glück und setzt - koste es, was es wolle - im Glücksspiel
seine letzten centesimi ein. Man lacht ebenso viel, wie man weint. Die Stadt ist
zum Weglaufen, wie die jüngsten Müllskandale gezeigt haben - und sie ist voller
guter Laune, trotz Maia (Camorra) und sozialen Problemvierteln.
Goooooooool! Man kennt ihn, den lang anhaltenden Torschrei Spanisch
sprechender Reporter, die das einsilbige gol! triumphierend auseinanderziehen
und die Tonleiter auf und ab modulieren. Ungewöhnlich war, dass er etwas blech-
ern aus den Lautsprechern des ehrwürdigen Teatro San Carlo von Neapel, des äl-
testen Opernhauses Europas, drang. Was man dann auf der Opernbühne im Som-
mer 2010 beim Internationalen heaterfestival der Stadt zu sehen bekam, war für
den Musentempel außergewöhnlich: ein Videozusammenschnit von über 100
Torschüssen des argentinischen Ausnahmefußballers Diego Armando Maradona.
Mit der Rückennummer Zehn hate Maradona dem SSC Napoli zweimal zur itali-
enischen Meisterschat verholfen. In den Gassen der Armenviertel verehrte man
ihn Ende der Achtzigerjahre wie einen Heiligen und baute ihm Altäre. Auf den
Mauern der Friedhöfe konnte man - an die Bestateten gerichtet - lesen: »Ihr
wisst ja gar nicht, was ihr versäumt.« Die Fans wussten dabei nicht (oder wollten
nicht wissen), wie kokainabhängig ihr Idol damals war. Schnee von gestern.
Heute jubelt man den Fußballern in ihren himmelblauen Trikots zu, weil sie es
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