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Der Schritsteller Claudio Magris hat das einmal sehr schön ausgedrückt: »Die
Piazza ist eine Art Sonntag der Stadt. Sie ist der Ort, an dem die Atemnot
nachlässt und man Lut schöpfen kann. Im Gegensatz zu den Straßen, die man
schnell entlangläut, um an ein Ziel zu kommen, macht man auf einer Piazza
halt.« Die Straßen italienischer Städte sind mit ihren ot schmalen Fußwegen be-
sonders für Kinder schwer zu ertragen; im Wagen sitzen sie zudem genau auf der
Höhe der Auspufrohre. Erst auf der Piazza, die ot autofrei ist, löst sich die Span-
nung. Hier können sie spielen, laufen und den Eltern Zeit geben, sich umzusehen.
Nirgendwo lässt sich das Verhalten der Menschen so gut beobachten. Und nir-
gendwo lernt man so schnell, Einheimische von Ausländern zu unterscheiden. Im
Sommer ist das besonders leicht. Da hilt schon ein Blick auf die Kleidung. In
Italien gehört die Wärme und der Umgang mit ihr zum Alltag, in anderen
Ländern gelten heiße Tage und Wochen eher als Ausnahme - und in
Bekleidungsfragen herrscht dann manchmal ebenfalls Ausnahmezustand. Und die
Urlaubssituation als solche ist ja bereits eine Art Auszeit von Konventionen.
Die Italiener, die viel mehr als wir Wert auf Kleidung legen und die vor allem
wissen, was ihnen steht und was nicht, kann man jedoch am besten an ihrer
Körpersprache erkennen. Kein anderes Volk hat diese Sprache so zur Perfektion
gebracht. Man achte auf die bewegte Eleganz, mit der Worte verstärkt oder ein-
fach nur begleitet werden. Und ot ersetzt die Geste gar eine ganze Antwort. Die
Gestensprache hat auch durch die Dauernutzung des Handys nicht geliten. Und
es hat etwas von großem heater, wenn Personen, die ganz allein stehen, aber
mit ihrem cellulare kommunizieren, auf gestenreiche Körpersprache nicht ver-
zichten. Das Videotelefon wird dieses Missverhältnis bald wieder ins Lot bringen.
Meine Kinder sind zweisprachig aufgewachsen. Wenn sie Deutsch reden, ver-
halten sie sich deutlich steifer. Wenn sie aber Italienisch reden, scheinen sie in
einem beweglicheren Körper zu stecken. Und ich sehe meine Tochter Mara vor
mir, wie sie ihre Muter anguckt, die Fingerspitzen der erhobenen Hand aneinan-
dergedrückt, die sie stumm hin und her bewegt. Das heißt: »Was will der Kerl,
was schreibt der bloß?«
Vom campo zum Campus
Über die Piazza schreibt er. Und über dieses einmalige Gefühl, das sich selbst auf
einem italienischen Dorfplatz einstellt, wenn das, was man aus Geschichtsbüch-
ern weiß, plötzlich einen konkreten Boden bekommt. Das Buch öfnet sich, und
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