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sunken, zugleich stieg der Meeresspiegel der Adria um 12 Zentimeter an. Acqua
alta , Hochwasser, plagt die Lagunenstadt Jahr für Jahr mehr - besonders im Win-
terhalbjahr zwischen November und März. Seit 1993 gab es mehr als fünfzig
Hochwasser, bei denen der Pegel weit höher schwappte als die kritische Höhe
von 110 Zentimeter über NN. Früher stand bei solchen Gelegenheiten nur ein
kleiner Teil von San Marco unter Wasser, inzwischen melden dann fast alle Vier-
tel der historischen Altstadt Land unter. Das bringt viele Unannehmlichkeiten für
Einwohner, für Wirtschatsbetriebe und vor allem für Touristen, die Venedig zu
jeder Jahreszeit überspülen und sich bei Hochwasser nasse Füße holen.
Damit soll demnächst allerdings Schluss sein. Michele hat inzwischen bei der
Bocca di Lido beigedreht, und mit etwas weichen Knien kletert man auf einen
Arbeits-Ponton, hinter dem ein kleiner Ausweichhafen entsteht. Bevor das ei-
gentliche Barrieresystem errichtet werden kann, müssen noch Molen verlängert,
Wellenbrecher angelegt und Nothäfen gebaut werden. Wir sehen eine eher un-
spektakuläre Baustelle, die allein die Anwohner an der Nordspitze des Lidos stört
und die Touristen von hier vertrieben hat. Stützpfeiler - rund 12000 Stück - für
die Betonverankerungen der Flutanks werden versenkt. In einigen Jahren kön-
nten dann alle Arbeiten abgeschlossen sein. Wenn es keine weiteren Verzögerun-
gen gibt.
Denn nicht nur die langen Fristen haben Gegenstimmen auf den Plan gerufen.
Seit über zwei Jahrzehnten ringt man in unzähligen Kommissionen um Sinn oder
Unsinn eines Systems, das vom Ende der Siebzigerjahre stammt und das viele
Fachleute für veraltet und außerdem für überteuert halten. Allein die Folgekosten
sollen über zwanzig Millionen Euro jährlich betragen - »der reinste Wahnsinn«,
wie ein Kritiker sagt. Flavia Faccioli, Sprecherin des Consorzio Venezia Nuova,
glaubt dagegen, dass die Zeit für sie arbeite. Nach und nach würden die Venezi-
aner den Nutzen des Systems erkennen. Klagen und Einsprüche von Um-
weltschützern häten die Gerichte zurückgewiesen. Sie hält ihren Kritikern vor,
dass Venedig in seiner langen Geschichte jedes Mal die zur entsprechenden Zeit
neusten Technologien genutzt habe. Mose sei nichts anderes als ein »großartiges
Restaurierungsprojekt der Lagune«. So als würde man in ein Haus, das man
gerade erneuert habe, »Türen einhängen, um es gegen Angrife von außen zu
schützen und die Intimität des Inneren zu respektieren«. Aber ob man so mit
Vollgas die Zukunt ansteuern kann wie Michele auf dem Rückweg die Einfahrt
zum Canal Grande? Zweifel bleiben angebracht.
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