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Die regionale Vielfalt der Küche ist ein Ergebnis der Geschichte. Italien hat, wie
Deutschland, erst spät seine nationale Einheit in einem Staat gefunden. Eine Ein-
heit, die von dem piemontesischen Königreich und von dessen Hauptstadt Turin
ausging. Sie wurde von den Menschen in Bari oder Verona, in Catania oder
Parma, in Benevent oder Mantua zwar mit dem Kopf begrüßt, aber nicht so sehr
mit dem Herzen und schon gar nicht mit dem Bauch. Das gleiche gilt übrigens
auch für die Sprache. Die italienische Hochsprache ist eine Art Spätgeburt,
welcher der Mailänder Schritsteller Alessandro Manzoni (1785-1873) auf
Grundlage der toskanischen Sprache mit seinem Roman »I promessi sposi« zum
Leben verholfen hat. Auf Deutsch gibt es eine wunderschöne Neuübersetzung
von Burkhart Kroeber unter dem Titel »Die Brautleute«.
Aber als Rom 1870 italienische Hauptstadt des jungen Einheitsstaates wurde,
sprach der König wie der ganze Hofstaat entweder französisch oder einen
piemontesischen Dialekt. In Venedig verstand man den Dialekt der Westal-
pentäler bereits nicht mehr, in der Romagnastadt Rimini war Neapolitanisch eine
Fremdsprache. Ganz abgesehen von den Sprachminderheiten des Albanischen
und Griechischen im Süden, des Französischen (Okzidentalischen) im Westen,
Ladinischen im Norden und Slowenischen im Nordosten.
Fünfundsiebzig Prozent der Italiener galten als Analphabeten. Noch heute gibt
es zweisprachige Ortsschilder im Aostatal und in Südtirol, im Friaul und im Hin-
terland von Triest, in Kalabrien und auf Sizilien. Ich verstehe Italienisch recht
gut, aber wenn ich etwa nach Neapel komme oder gar nach Sardinien, wo in der
Bevölkerung noch eine archaische altrömische Sprache lebendig ist, gucke ich
meinem Gegenüber mitunter verständnislos in die Augen. Der hat dann meistens
ein Einsehen und redet Hochitalienisch weiter. Viele, besonders ältere Italiener,
denen eine gewisse Sprachfaulheit nachgesagt wird, sind eigentlich alle zweis-
prachig - von der Beherrschung weiterer Dialekte ganz zu schweigen.
So ist auch das italienische heater traditionell ein Dialektheater, von einem
Autor wie Carlo Goldoni (Venedig, 18. Jahrhundert) bis zu Eduardo De Filippo
(Neapel, 20. Jahrhundert). Sogar Dario Fo, der jüngste italienische Literaturnobel-
preisträger (1997), hat in seiner bekannten Szenenfolge »Mistero Bufo« eine
Kunstsprache auf der Basis eines lombardischen Dialekts geformt. Erst nach dem
Zweiten Weltkrieg konnte sich das Hochitalienische vor allem über die elektron-
ischen Medien Radio und Fernsehen durchsetzen. Und wenn wir noch einmal
von einem Teller Miesmuscheln (zum Beispiel zusammen mit Venusmuscheln auf
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