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sprochen. Ungläubige Kommentatoren reden von einer Antwort des Vatikans auf
New-Age-Tendenzen, man spötelt über Padre Pio gar als »New-Middle-Age«.
Das Bedürfnis breiter Volksschichten nach Spiritualität und nach handfestem
Glauben bremst solche Kritik kaum. Jährlich kommen über sieben Millionen Pil-
ger zu dem Wallfahrtsort auf dem Vorgebirge des Gargano - mehr als nach
Loreto oder Lourdes. Ein mehrteiliger Fernsehilm zu Padre Pios Leben hat
Einschaltquoten wie ein Spiel der Fußballnationalmannschat erreicht. Statuen,
Plaketen, Bildchen von Padre Pio indet man überall. Ich begegne ihm zum Beis-
piel, wenn ich in dem Schreibwarengeschät meiner Straße einkaufe, dort steht
sein Bild hinter der Kasse im Regal. Und so mancher Autofahrer hat einen Padre-
Pio-Anhänger am Rückspiegel baumeln.
Besonders in Krisenzeiten nimmt das Bedürfnis nach Führung und Sinngebung
zu. Es hat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nie so viele Marienerscheinun-
gen oder »weinende Statuen« gegeben wie in den vergangenen zehn Jahren.
Meist unbedeutende Marienabbildungen in kleinen Orten fangen plötzlich an,
blutige Tränen zu vergießen. In Pantano bei Civitavecchia behauptete kürzlich
der Pfarrer der Kirche Sant'Agostino, wo eine kleine Gipsstatue stand, sie habe
sogar in seinen Händen geweint. Zehntausende pilgerten wochenlang zu der
»Tränenmadonna«. Der Bürgermeister, pikanterweise ein Exkommunist, plante
bereits den Bau einer Wallfahrtskirche und von zwei Hotels. Der Vatikan verhält
sich in solchen Fällen - verständlicherweise - äußerst zurückhaltend. Denn ir-
gendwann, wie auch in diesem Fall, stellt sich heraus, dass jemand dem »Wun-
der« ein wenig nachgeholfen hat.
Aber es gibt ja so viele »historische« Heilige, die auch in der kleinen Unbill des
Alltags angerufen werden können. Der heilige Antonius von Padua, Schutzpatron
der Liebenden, hilt manchmal, wenn man etwas verliert. Der heilige Laurentius
(der auf dem Rost gemartert wurde) ist gut gegen Brandwunden. Augustinus
(weil er selbst so gelehrt war und viel las) gegen Augenleiden. Petrus Martyr (der
mit einem Messerhieb in den Kopf ermordet wurde) gegen Kopfschmerzen. In
aussichtsloser Lage rut man die heilige Rita an, und bei Trockenheit auf den
Feldern wendet man sich der heiligen Scholastika zu.
Die Heilige der Autofahrer ist Franziska von Rom. Jedes Jahr am 9. März wan-
delt sich das Gelände um ihre Kirche am Rande des Forum Romanum zu einem
Feld voller Blechkarossen, die gesegnet werden sollen. Am zweiten Sonntag im
Juli versammeln sich Motorradfahrer in der Kirche der Santa Vergine Creta in
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