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Kann man Maia sehen? Eine Spurensuche in Palermo
Es gibt Entäuschungen im Leben, die sitzen tief. Antonino Lo Bello zum Beispiel
hate jahrelang immer beim selben Bäcker eingekaut. Der knapp fünfzigjährige
Ingenieur brauchte nur um die Ecke ins Noce-Viertel zu gehen, um die schönsten
mit Ricota gefüllten cannoli , dutende Mandelkekse, köstliche Brioches und
natürlich das mit Sesam belegte typisch sizilianische Brot zu inden. Der Appetit
ist ihm gehörig vergangen, als nach einer Polizeirazzia Unterlagen gefunden wur-
den, aus denen hervorging, dass seine Bäckerei nicht nur pizzo (Schutzgeld) an
die Cosa Nostra bezahlt - das machen in Palermo nach Aussagen der Justizbe-
hörden rund achtzig Prozent aller Geschäte und Handelsbetriebe -, sondern dass
sie das pizzo in Naturalien entrichten würde: in Form von Torten und Süßspeisen
zum Ausrichten großer Feste der tonangebenden Maiafamilie des Stadteils.
Antonino Lo Bello, ein sozial engagierter Mann, hat darauhin sofort den Bäck-
er gewechselt. Er fühlte sich getäuscht, »aber die Maia kann man leider nicht se-
hen.« Ja, die Ehrenmänner der Cosa Nostra tragen keine Uniformen, ihre Autos
haben keine besonderen Kennzeichen und auf den Firmensitzen, die sie kontrol-
lieren, wehen auch keine Fahnen. Außerdem hat die Maia nach den blutigen An-
schlägen Anfang der Neunzigerjahre, als Polizisten, Staatsanwälte und Unter-
suchungsrichter ermordet wurden und Bomben sogar in Rom, Florenz und Mail-
and explodierten, ihre Strategie geändert: Sie ist untergetaucht und macht ihre
Geschäte so geräuschlos wie möglich.
Aber wenn man ganz genau hinschaut, sagt Lo Bello, dann könne man die
Cosa Nostra an ihren Spuren erkennen. Und weil der Ingenieur beim Wasseramt
der Stadt angestellt ist, erzählt er als Erstes von einem Palazzo an der Baida Mic-
ciulla unweit der Ausfahrtsstraße nach Monreale. Unter diesem Palazzo stößt
man auf eine Camera dello Scirocco aus dem 16. Jahrhundert. In einigen palermis-
chen Adelspalästen würde man diese segensreiche Einrichtung eines tief gelegen-
en Raums inden, durch den ein Wasserlauf geleitet wurde. Mit einer geschickt
regulierten Zirkulation der über dem Wasser abgekühlten Lut konnten dieser
Raum sowie benachbarte Zimmer im Sommer wohltemperiert gehalten werden,
während draußen der vierzig Grad heiße Schirokko-Wind die Stadt zum Kochen
brachte. Das Wasser loss dann in den »Kanat«, das tausendjährige unterirdische
Kanalsystem, das noch aus der arabischen Zeit Palermos stammt.
Was das alles mit der Cosa Nostra zu tun hat? Nun, dieser Palazzo, so erzählt
Antonino Lo Bello, war viele Jahre lang in Besitz eines Maiabosses. Als man den
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