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an denen Hörer beteiligt sind, mitreden oder schimpfen. Auf die Spitze getrieben
hat das einst »Radio Radicale«. Wegen angeblicher politischer Gängelung
strahlte es tagelang nur das aus, was es vorher auf seinem Anrubeantworter
aufgezeichnet hate. Für jeden Anrufer sechzig Sekunden freie Meinungsäußer-
ung: Flüche und Zoten, Solidaritätsadressen und Liebesgedichte, rassistische Het-
ze und Veranstaltungshinweise, Gebete und Küchenrezepte - kurz ein (ers-
chreckender) uerschnit durch die Stimmungslage der Nation.
Aber es geht im Radio durchaus auch ganz praktisch zu. Eine halbe Stunde
nach einer Überschwemmung in Mailand und der Lombardei wird das Programm
geändert. Fachleute, kurzfristig telefonisch zusammengerufen, geben Ratschläge,
diskutieren und kommentieren - der eine sitzt im Auto, der andere im Flughafen-
restaurant, der drite in einer Bibliothek. Hörer berichten über die Befahrbarkeit
von Straßen, warnen vor Erdrutschen und verstopten Wegen und wissen von
Verkehrsstaus lange vor den oiziellen Miteilungen der Polizei. Während der
Sendung entsteht gleichsam ein Notplan für das Katastrophengebiet. Im Radio ist
so etwas möglich, wovon das Fernsehen nur träumt: Spontaneität, Kreativität
und Flexibilität. Und das Ganze zu relativ geringen Kosten. In Mailand ist mit
»Radio Popolare« ein vorbildliches Stadtradio entstanden, das als Produkt der
Siebzigerjahre etwas von der Unbekümmertheit der Radiopioniere in die Gegen-
wart geretet hat, aber zugleich grundsolide und schnell über die Vorgänge in der
lombardischen Metropole und ihrem Hinterland berichtet. Auch hier spielen das
Handy und der spontane Anruf der Zuhörer eine große Rolle.
Unsere Zeit wird jedoch von Bildern dominiert, was will David Radio gegen
Goliath Fernsehen schon ausrichten? Italienische Futurologen sind da ganz an-
derer Meinung: In 100 Jahren werde das Radio das Kommunikationsmitel Num-
mer eins sein, dem Fernsehen bliebe - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nur
noch der Rang des Videotelefons oder eines Computerspielzeugs. Noch kann man
im fernsehsüchtigen Italien davon nicht reden, aber es gibt so etwas wie eine
Renaissance des Radios. Für das öfentliche Fernsehen werden Gebühren fällig,
zuletzt rund neun Euro im Monat. Aber weil davon auch die staatlichen Rund-
funkprogramme der RAI mit ihrem zum Teil tollen Kulturprogramm (wie die täg-
liche Literatursendung »Fahrenheit«) inanziert werden, zahle ich sie aus
Überzeugung gerne.
Während der vergangenen Jahre sind zwischen Südtirol und Sizilien die
Hörerzahlen im Durchschnit jedes Jahr gestiegen, allein der Marktführer Radio
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