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Ein deutsch-italienisches Drama
Es gibt andererseits tatsächlich auch hervorragende Reportagen oder auf langer
Recherche basierende kritische Untersuchungen. Ot greifen die Bläter die neuen
Sehgewohnheiten von Internet und Fernsehen auf und bringen neben dem
Artikel eine Art Bilderstreifen mit Fotos, Graiken und kurzen Texten, die das
Geschehen zusammenfassen und den Hintergrund skizzieren. Eine eher dürtige
Rolle spielt die Auslandsberichterstatung. Über Frankreich wird wie über einen
großen Cousin ausführlich und ot nicht ohne Neid berichtet. Man kann den
Eindruck gewinnen, dass die italienische Öfentlichkeit einen kleinen Frankreich-
komplex hat.
Denn das Bild, das sich eine Nation von der anderen macht, von ihren
Menschen, ihren Bräuchen und ihrer Geschichte, wird vor allem durch die Medi-
en geprägt. Die überregionalen Zeitungen sind dabei auch ein Spiegel der na-
tionalen Grundstimmung. Als kürzlich ein deutsch-italienisches Familiendrama
publik wurde, bei dem sich der deutsche Vater und die italienische Muter nach
der Scheidung um das Sorgerecht ihrer beiden Kinder striten, berichteten italien-
ische Zeitungen groß über den Fall. Die Muter war mit ihren Kindern trotz eines
Verbots des Münchner Jugendamtes nach Italien umgezogen. Die deutsche Be-
hörde erwirkte darauhin einen internationalen Hatbefehl gegen die Frau. Die
Berichterstattung war von emotionalen, nationalistischen Tönen geprägt, die
Einrichtung des Jugendamtes wurde etwa vom »Corriere della Sera« als eine von
Heinrich Himmler gegründete Nazi-Behörde charakterisiert. Die Zeitung machte
ihren ersten Bericht über das Familiendrama mit einem Foto von Himmler auf.
Die unterschwellige Botschat: Eine Nazi-Behörde will einer italienischen Muter
ihre Kinder wegnehmen.
Solche Eindrücke relativiert eine Untersuchung, die das Mailänder Goethe-In-
stitut zusammen mit dem »Corriere della Sera« über das Deutschlandbild
durchgeführt hat. Zur Überraschung auch der Archivare des »Corriere« wurde
etwa in den Jahren zwischen 1960 und 2000 über kein anderes europäisches Land
so ausführlich berichtet wie über Deutschland. Und das nicht nur über hemen
aus Politik und Wirtschat, sondern auch aus Gesellschat, Kultur und
Geschichte. Dabei tauchen bestimmte Stereotype von den Sechzigerjahren an in
der Zeitung auf und werden ot in ironischer, manchmal auch in humorvoller
Form bis heute weitergegeben. Der Deutsche wird in allen hemenkreisen über
die Jahrzehnte hinweg als ein ordnungsliebender und meist autoritätshöriger
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