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treme Tageszeitung wie die linksextreme, das Kirchenblat wie die Monarchisten-
presse. Jeden Tag, auch sonntags - dann hat allerdings wechselweise nur die
Hälte der Verkaufsstände und lediglich bis zum Mitag geöfnet. Damit die Kio-
ske untereinander nicht in Konkurrenz geraten, wird ihnen von der Stadtverwal-
tung ein Einzugsgebiet zugeteilt (laut Gesetz sind das 850 Familien).
Für Signora Lia und ihre Familie ist die edicola zugleich so etwas wie eine Ren-
tenversicherung. Alle helfen mit, morgens ihr Mann, der dann später einer
zweiten Arbeit nachgeht, manchmal auch ihr Sohn. Denn von den Einnahmen
eines Kiosks allein (die Gewinnspanne liegt im Durchschnit bei 18 Prozent von
einem Jahresumsatz von 120000 Euro) kann kaum eine Familie leben. Und Lia ge-
ht auch schon auf die Siebzig zu und möchte den Kiosk eigentlich verkaufen (et-
wa in der Höhe des Jahresumsatzes), um so eine Rente für sich und ihre Familie
zu bekommen.
Auf diese familiäre Weise werden die meisten italienischen Verkaufsstände ge-
führt, wo man nicht nur Zeitungen kaufen kann, sondern auch Neuigkeiten über
die Nachbarschat erfährt, über das Weter redet und zumindest ein freundliches
Wort hört (oder mit Sergio, dem Milan-Anhänger, Frotzeleien über Fußball aus-
tauscht). Wie lange wird diese heile Welt noch bestehen? Die Aulage der
Tageszeitungen, Wochen- und Monatsmagazine sinkt von Jahr zu Jahr, man kann
neuerdings Zeitungen auch in Supermärkten und manchen Bars kaufen, und das
Internet bietet ganz neue Vertriebs- und Lesegewohnheiten.
Die Zeitungen und die Pressefreiheit
Italien ist kein Leseland, schon gar nicht eines von Zeitungslesern. Das hängt mit
der späten Alphabetisierung zusammen. Zur Zeit der Einigung konnten drei
Viertel der Bevölkerung weder lesen noch schreiben, 1921 war es noch fast ein
Drittel und auch 1961 noch ein Zehntel. Auch beim Zeitungslesen gibt es ein
deutliches Gefälle zwischen Nord und Süd und - wie überall auf der Welt - zwis-
chen Stadt und Land. Sport(tages)zeitungen sind besonders beliebt, und auch die
Regenbogenpresse mit Titeln wie »Gente«, »Chi« oder »Novella 2000« indet
ihre Leser. Bildergeschichten und Fotoromane (»Grand Hotel«) sterben im
Norden langsam aus, inden aber im Süden besonders bei einer weiblichen Leser-
schat noch Anklang. Männer greifen eher zu Comicheten mit Krimis (»Diabol-
ik«) oder zu den Publikationen aus den Rotlicht-Verlagen.
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