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einem größeren Staat einen größeren Sitzungssaal benötigen würde. Deshalb
plante man einen neuen Flügel am Palazzo für ein Parlament eines zunächst rein
norditalienischen Staates. Als sich dann 1860/61 die Ereignisse überschlugen und
Turin Hauptstadt von ganz Italien (zunächst mit Ausnahme Venetiens, Roms und
eines Rumpfgebietes des Kirchenstaates) wurde, ließ man kurzerhand im Hof des
Palazzo ein Notparlament nach dem Vorbild des Londoner Crystal Palace aus
Holz (stat Eisen) und Glas für rund 1000 Personen (Abgeordnete und Besucher)
zimmern. Das war ein Provisorium für einen schnell zusammengeschusterten
provisorischen Staat, dem zeitgenössische Beobachter keine großen Über-
lebenschancen einräumten. Und der heute in den Räumen des neuen Flügels ein
Museo del Risorgimento beherbergt, wo man Gemälde und Dokumente ausstellt
und mit Multimediainstallationen die Entstehung eines Staates illustriert, der
trotz vieler historischer Zickzack-Bewegungen seinen Weg in die Gegenwart ge-
funden hat.
Eine römische Provokation
Die Kuppel des Petersdoms konnten Reisende, die sich in früheren Jahrhunderten
Rom näherten, bereits von Weitem ausmachen. Heute verstellen die Vorstädte,
die zum Teil planlos in die Campagna Romana gewachsen sind, diesen Blick, der
einst die Herzen höherschlagen ließ. Aber in Rom selbst bleibt die herrliche Kup-
pel, eine Meisterarbeit Michelangelos, immer wieder ein optischer Bezugspunkt,
der aus dem Dächergewirr herausragt. Als ich während meines ersten Ro-
maufenthalts einen Freund im Stadtviertel Prati besuchen wollte, war ich allerd-
ings etwas verwirrt. Das hate seinen Grund nicht nur in den vielen lateinischen
Straßennamen wie Piazza dei uiriti, Via degli Scipioni oder Via Pompeo Magno.
Das Viertel liegt direkt unterhalb des Vatikans, aber gerade von hier aus hat man
nirgendwo einen Blick auf die wichtigste Kirche der katholischen Welt.
Stadtplaner sind hier ganz bewusst gegen Kirche und Kirchenstaat vorgegan-
gen. Das Viertel entstand in den ersten Jahrzehnten nach der italienischen
Vereinigung, kurz nach der Zeit, als Rom 1870 Hauptstadt wurde. Mit mil-
itärischer Gewalt war dem Papst bereits zuvor die Herrschat über den Kirchen-
staat (weite Gebiete Latiums, Umbriens, der Marken und der Romagna) entrissen
worden. Piemontesische Truppen durchbrachen dann am 20. September 1870 bei
der Porta Pia die Stadtmauer und eroberten Rom. In jedem größeren italienischen
Ort gibt es deshalb heute eine Via XX Setembre. Der Papst, Pius IX., zog sich
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