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man zwar der antiken Tradition der damnatio memoriae , der Verdammung des
Andenkens, folgend, aus politischen Gründen Gebäude oder Denkmäler einer an-
deren Epoche oder Ideologie abgerissen. Doch wenn das Politische nicht so im
Vordergrund stand, hat man sie auch um- oder einfach im neuen Stil weiterge-
baut. So lässt sich an Kirchen, die etwa aus römischen Tempeln entstanden sind,
eine mehrtausendjährige Geschichte ablesen, weil - wie zum Beispiel beim
römischen Pantheon - jede Epoche etwas hinzugefügt hat: von der Tempelanlage
einer römischen herme über eine christliche Kirche mit Renaissancefresken bis
zu der Grablege von Savoyer-Königen. Ganz liberal erhält man heute alles, was
historisch ist. Sogar wenn es aus »dunklen Zeiten« wie dem Faschismus stammt.
In Rom ist auch das Forum Mussolini stehen geblieben, das von einem Obelisken
beherrscht wird, auf dem groß »Mussolini Dux« steht. Außerdem sind, wie in
ganz Italien, Bauten der faschistischen Epoche im EUR-Viertel (das aus Anlass
des 20. Jahrestages der Machtübernahme Mussolinis Anfang der Vierzigerjahre
errichtet wurde) noch in den Fünfziger- und Sechzigerjahren nach den alten
Plänen zu Ende gebaut worden.
Italienische Städte lassen sich deshalb wie ein Geschichtsbuch lesen, und man
wandelt zwischen den Zeiten, wenn man nur die Piazza wechselt. Zum Beispiel
in Brescia, wo es nur ein paar Schrite sind, bis man vom Faschismus (Piazza Vit-
toria) in die venezianische Renaissance kommt (Piazza della Loggia) und schließ-
lich unter Arkaden im Mitelalter (Piazza del Broleto) landet, das direkt über die
Via dei Musei mit der Antike (Ausgrabungen des Forums und Kapitols) ver-
bunden ist.
Geschichte kann sogar im Mund zergehen. Wie jedermann weiß, ist Turin die
Schokoladen-Hauptstadt Italiens mit herrlichen Cafés und Zuckerbäckereien
( pasticcerie ), die ein umwerfendes Angebot an Schokoladenpralinés feilbieten. In
früheren Jahrhunderten gehörte die heiße Trinkschokolade zu den Vergnügungen
der Edelleute am Hof der Savoyer: Sie wärmte und gab dem abgeschlaten Körp-
er einen Energiekick. Der Bürger oder der arme Mann gar durte von solchen
verführerischen Köstlichkeiten nichts wissen. Das änderte sich schnell, als im
Piemont fast zeitgleich mit England ein Verfahren entwickelt wurde, wie man
Schokoladenpulver in Tafelform binden konnte. Jedermann, der es sich leisten
konnte, wollte jetzt eine Tafel von dieser neuen Droge. Die Nachfrage wuchs
enorm. Als die Truppen Napoleons Ende des 18. Jahrhunderts das Piemont bela-
gerten, gingen aber die Kakaovorräte zur Herstellung von Schokolade zur Neige.
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