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die stärker an Vorsorge-Überlegungen orientiert sind als etwa die in den USA ge-
bräuchlichen, wo umgekehrt Regress-Fragen beim Auftreten von Schäden rechtlich
reguliert werden.
Insgesamt ist die Risikobewertung noch klar verbesserungsbedürftig. Die Zu-
lassungspraxis beachtet das in der Richtlinie 2001/18/EG geforderte Stufenprinzip
zu wenig, d. h. das Gebot, dass in einem stufenweisen Prozess vom geschlossenen
System zur experimentellen Freisetzung und zum kommerziellen Inverkehrbringen
Risikowissen generiert werden soll. Der Versuch eines Auswegs ist die Koexistenz-
forderung. Hier geht es um die Gewährleistung der Wahlfreiheit der Produzenten
und Konsumenten. Diese ist nur gegeben, wenn die konventionelle, die biologi-
sche und die gentechnische Wirtschaftsweise nachhaltig nebeneinander existieren
können. Eine Koexistenz der Wirtschaftsweisen wäre zugleich ein Ausweg aus
dem Grundrechtskonflikt zwischen den Kontrahenten: Konventionell und ökolo-
gisch wirtschaftende Landwirte können sich auf die Eigentumsgarantie berufen.
Auf ihrer Seite stünde auch die Wahlfreiheit der Konsumenten, die sich auf Art.
2 Abs. 1 Grundgesetz stützen ließe. Demgegenüber kann aber auch der gentech-
nisch wirtschaftende Landwirt sein Recht auf Nutzung seines Grundeigentums
geltend machen. Alle könnten zu ihrem Recht kommen, wenn es Regeln gäbe, die
Wirtschaftsweisen nebeneinander existieren zu lassen.
Die EG hat die Ausformung der Koexistenz-Regeln den Mitgliedstaaten
überlassen und nur strukturierende Hinweise gegeben (Art. 26 a RL 2001/18, Kom-
missionsempfehlung 2003/556/EG). In der BRD leistet dies das Gentechnikgesetz,
das in § 16b eine Registrierung der Ausbringung von GVO, die Abstimmung zwi-
schen Nachbarn, die Haftung für Kontamination fremder Ernten und die Einhaltung
der guten fachlichen Praxis (GfP) vorsieht. Die GfP, die in einer Verordnung vorge-
schrieben wird, umfasst Sorgfaltspflichten bei Anbau, Beförderung, Lagerung und
Weiterverarbeitung von GVO sowie Abstandsregeln wie z. B. bei gentechnisch ver-
ändertem Mais 150 m zu konventionell und 300 m zu ökologisch angebautem Mais.
Die vorgesehenen Instrumente sind jedoch sämtlich auf die Konfliktschlich-
tung zwischen einzelnen Landnutzern bezogen und nicht aus dem systemaren
Charakter des Problems abgeleitet: Dass nämlich ein Mosaik getrennter Wirtschafts-
weisen mit jeweiligen Abstandsflächen die bebaubare Fläche im Prinzip erheblich
einschränkt. Planerische Zugänge, wie kleinräumige (regionale) Nutzungscluster
von Flächen gleicher Bebauungsweisen, könnten dagegen eine Auskreuzung bzw.
Kontamination von gentechnisch veränderten mit nicht gentechnisch veränder-
ten Organismen nennenswert reduzieren. Hierfür eignet sich möglicherweise die
Landschaftsplanung und die vertraglich gestützte freiwillige Absprache Gentechnik
freier Regionen ( Kap. 11 ). Darüber hinaus kommt in Betracht, dass für Naturschutz-
gebiete und Nationalparks die Ausbringung von GVO untersagt wird. Begründbar
ist dies mit einer Entscheidung für die historisch gewachsene Eigenart von Natur-
gebieten und Wirtschaftsweisen. Trotz aller Trennungsregeln ist jedoch fraglich,
ob Koexistenz eine Lösung auf Dauer sein kann. Über längere Zeiträume könn-
te es eintreten, dass Transgene sich über die Abstandsflächen hinaus ausbreiten.
Langfristig könnten alles Saatgut und alle Produkte mit gentechnisch modifizierten
Sorten verunreinigt sein, nicht zuletzt auch, weil die Gentechnik in anderen Staaten
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