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Henryk Sienkiewicz - ein Dichter der Nation
Es wird gewiss wenige Menschen geben,
die den beinahe drei Stunden langen Hol-
lywood-Schinken von 1951, „Quo Vadis“,
nicht kennen. Nur - wer weiß, dass die li-
terarische Vorlage für den Film, der von der
tragischen Liebe des römischen Offiziers
Marcus Vicinius zur Christin Lygia zur Zeit
der Christenverfolgungen unter dem wahn-
sinnigen Kaiser Nero handelt, dass dieser
1896 verfasste, spannende Historienroman
aus der Feder des polnischen Schriftstellers
Henry Sienkiewicz (1846-1917) stammt?
1905 wurde dem in Wola Okrzejska im da-
mals russischen Teil Polens geborenen
Schriftsteller für sein literarisches Werk der
Nobelpreis verliehen. Damit war Sienkie-
wicz der erste Nobelpreisträger für Litera-
tur in der Geschichte seines Landes.
Es gibt kaum eine Ortschaft in Polen, in
der nicht mindestens eine Straße oder ein
Platz den Namen des Nobelpreisträgers
trägt, kaum eine größere Stadt, in der nicht
irgendwo in einer Grünanlage, wie klein sie
auch sein mag, wenigstens eine Büste des
wortgewaltigen Schriftstellers steht. Denn
wie nur wenige andere trugen Sienkiewicz'
Romane in den letzten Jahrzehnten der Tei-
lungszeit zur Entstehung einer patrioti-
schen polnischen Geschichtskultur bei.
Nach seinem Studium in Warschau und
ausgedehnten Reisen, die Sienkiewicz
durch Europa, Amerika und den Orient
führten, folgte ab 1872 die Veröffentli-
chung von satirischen Texten, Feuilletons
und gesellschaftskritischen Erzählungen.
Sie entstanden im Geist des Polnischen
Positivismus, einer besonderen Spielart
des literarischen Realismus, dessen Inten-
tion unter anderem darin bestand, das pol-
nische Nationalbewusstsein in den Tei-
lungsgebieten durch Bildung zu stärken.
Bedenke man doch, unter der Fremdherr-
schaft bestand keine Möglichkeit, sich
Kenntnisse über die eigene Vergangenheit
aus Schulbüchern oder Werken einer natio-
nalen Geschichtsschreibung anzueignen,
sondern allein auf dem Weg über die Kunst
und die Literatur.
Spätestens mit seiner Arbeit an der opu-
lenten, 1883-88 erschienenen Romantri-
logie „Mit Feuer und Schwert“, „Die Sturm-
flut“ (auch unter dem Titel „Die Sintflut“ er-
schienen) und „Herr Wołoyjowski“ löste
sich Sienkiewicz jedoch vom strengen Posi-
tivismus. Unter einer sehr freimütigen Ver-
wendung der historischen Fakten entstand,
angesiedelt in der wechselvollen Geschich-
te Polens im 17. Jahrhundert, eine schillern-
de, mitreißende Saga über den Kampf der
polnischen Fürsten gegen die aufständi-
schen ukrainischen Kosaken („Mit Feuer
und Schwert“), über den großen Krieg Po-
lens gegen die schwedischen Eindringlinge
(„Die Sturmflut“), der in der wundersamen
Errettung des Klosters Częstochowa
(Tschenstochau) durch die heilige Mutter-
gottes gipfelt, und über den heldenmütigen
Grenzkampf der polnischen Nation gegen
die anbrandenden heidnischen Türken
(„Herr Wołoyjowski“). Packende Helden-
geschichten voller Liebe, Dramatik und
Leidenschaft, die der „Kräftigung der Her-
zen“ im nicht existierenden Polen dienten.
Von Seiten der Literaturkritik trugen sie
Sienkiewicz den Vorwurf ein, er würde den
Positivismus verraten, und gleichzeitig be-
gründeten sie seinen weltweiten Schrift-
steller-Ruhm. Seine Romane wurden von
hunderttausenden Lesern verschlungen.
Sienkiewicz' letztes großes Werk „Die
Kreuzritter“, im Jahr 1900 erschienen, lös-
te dann nicht mehr nur beim Publikum,
sondern auch bei der Kritik Begeisterungs-
stürme aus. Vor einer Kulisse mächtiger
Burgen und erblühender Städte leben die
Ereignisse rund um die geschichtsträchtige
Schlacht des polnisch-litauischen Heeres
gegen die Deutschordensritter 1410 bei
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