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Tolle Knolle - die Kartoffel
Vor über 250 Jahren wurde auf Befehl des
preußischen Königs Friedrich II. (1712-86)
in Pommern die Kartoffel eingeführt. Auf
den unfruchtbaren pommerschen Sand-
mergelböden wollten weder Weizen noch
Zuckerrüben gedeihen. Ausnahmen bilde-
ten nur der Pyritzer Weizacker und das Rü-
genwalder Amt, wo auf ertragreicher Kru-
me gutes Korn angebaut werden konnte.
Ansonsten gerieten allerhöchstens noch
Roggen und Hafer - und eben die an-
spruchslose braune Knolle aus der Familie
der Nachtschattengewächse. Dank ihres
hohen Kohlehydrat- und Vitamin-C-Gehal-
tes sollte sie unzählige Menschen vor dem
Hungertod retten und stieg darüber hinaus
rasch zum wichtigsten Grundnahrungs-
mittel auf.
Mitte des 18. Jahrhunderts rollte in Kol-
berg (Kołobrzeg) das erste Fuhrwerk voller
Kartoffeln an, und nach einer Reihe miss-
glückter Anbauversuche klaubte man etwa
40 Jahre darauf die ersten Knollen vom
Acker. Noch einmal gut 100 Jahre später
begann Rittmeister Kartz von Kameke
(1866-1942) in Streckenthin (Strzekęcin),
etwa zehn Kilometer südlich von Köslin
(Koszalin), mit der systematischen Kartof-
felsaatzucht. Viele seiner Sorten sollten
Weltruf erlangen, darunter die robuste
Parnassia, die selbst den kälteklirrenden
„Steckrübenwinter“ 1916/17 heil überstand
und in viele Länder ausgeführt wurde.
Viele weitere Zuchtbetriebe siedelten
sich an. So die Saatzucht von Carl Rad-
datz, der Mitte der 1920er Jahre mit den
Sorten Sandkrone, Altgold und anderen
mehr auf den Markt kam und dessen Voran
1933 den ersten Preis der Kartoffelbau-
gesellschaft als „Massenkartoffel mit
höchsten Stärke- und Knollenerträgen“ ge-
wann. Da war Streckenthin schon längst
zum Mekka der Kartoffelwelt avanciert. Vor
dem Zweiten Weltkrieg wurde fast das ge-
samte Deutsche Reich mit Pflanzkartoffeln
aus Hinterpommern beliefert.
An diese Tradition knüpfte die Volksre-
publik Polen nach Ende des Zweiten Welt-
kriegs erfolgreich an, und bis heute verlas-
sen alljährlich zehntausende Zentner Setz-
linge der unterschiedlichsten Sorten die
Saatzuchtbetriebe in der Koszalin-Region.
Zahlreiche Kartoffellagerhäuser, zwei Beur-
teilungsstellen und auch ein Forschungsin-
stitut für Kartoffelanbau sind entstanden.
Was also könnte das richtige Denkmal in
dieser Landschaft sein? Ein Kartoffeldenk-
mal, natürlich. Ein guter Einfall, der im Ort
Biesiekierz südwestlich von Koszalin, bron-
ziert auf drei Stahlträgern, seine Erfüllung
fand. Hübsch ist es nicht, dieses Denkmal.
Aber ist die Kartoffel vielleicht eine Schön-
heit? „Sei es für das einstige Pommern, sei's
für Pomorze“, schreibt Christian Graf von
Krockow dazu in seinem wundervollen
Buch über Pommern, „etwas Sinnvolleres
lässt sich schwerlich erdenken in dem Land,
dem diese Frucht die Fruchtbarkeit brach-
te. Möge darum dem Kartoffeldenkmal
Dauer beschieden sein, möge es uns erin-
nern, mahnen an das Unscheinbare, das
wir zum Leben und Überleben brauchen.“
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