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Nach 1233 Kilometer Lauflänge (Kremer 2010)
durchfließt der Rhein in Holland schließlich das größte
Flussdelta Europas, bevor er in die Nordsee mündet.
Um das Delta nutzbar zu machen, waren großflächige
Absenkungen des Grundwasserspiegels notwendig, die
unter anderem dazu führten, dass heute ungefähr die
Hälfte Hollands weniger als 1 Meter über dem Meeres-
spiegel und rund ein Viertel der Landesfläche unterhalb
des Meeresspiegels liegt. Der tiefste Punkt wird westlich
der Stadt Gouda mit 6,74 Meter unter dem Amsterda-
mer Standardpegel NAP gemessen. Diese Situation stellt
verständlichlicherweise ein erhebliches Risikopotenzial
dar und macht besondere Vorkehrungen vor dem Hoch-
wasser des Rheins und den Sturmfluten der Nordsee
notwendig, die besonders dann zu Stress führen, wenn
beide Ereignisse zeitlich zusammenfallen. Um von Sei-
ten der Nordsee geschützt zu sein, ist nach der Sturm-
flutkatastrophe von 1953 das Großprojekt „Deltaplan“
umgesetzt worden, unter anderem mit dem größten be-
weglichen Sturmflutwehr der Welt Maeslantkering in
Rotterdam.
Diese unterschiedlich gestalteten „Stresssituationen“
entlang des Rheins ergeben sich in erster Linie dadurch,
dass das Rheingebiet die am dichtesten besiedelte Fläche
Europas darstellt, mit Maximalwerten von 668 Einwoh-
nern/Quadratkilometer am Niederrhein und 492 Ein-
wohnern/Quadratkilometer am Deltarhein. Daraus er-
gibt sich ein massiver Nutzungsdruck durch Städte- und
Siedlungsbau, Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe, Ver-
kehr und Tourismus. Dadurch ist besonders nach dem
Zweiten Weltkrieg der Rhein derart belastet worden,
dass er vor 30 Jahren als „Kloake der Nation“ bezeichnet
wurde (Fey & Meffert 1981). Mittlerweile ist die Wasser-
qualität deutlich besser geworden; es ist erstaunlich, wie
schnell sich ein solch großes Gewässersystem regenerie-
ren kann.
Im Folgenden sollen aus der Fülle der geschilderten
Problemlagen am Rhein einige Aspekte besonders be-
leuchtet werden.
Die Oberflächengewässer stellen einen Abschnitt des
Wasserkreislaufs dar, bei dem das Wasser einerseits zahl-
reichen Verunreinigungen aus punktuellen und diffusen
Quellen ausgesetzt ist, andererseits aber auch durch die
Selbstreinigungswirkung des aquatischen Ökosystems
gesäubert wird (Fent 2007). Bei der Bestandsaufnahme
der Gewässergüte europäischer Oberflächengewässer im
Jahr 2004 zeigte sich, dass zwar der chemische Gewäs-
serzustand in einigen EU-Staaten wieder sehr gut ist,
dass aber vor allem im Bereich der ökologischen Gewäs-
sergüte großer Handlungsbedarf besteht. Die EU-Was-
serrahmenrichtlinie hat einen guten ökologischen und
chemischen Zustand aller europäischen Gewässer bis
2015 zum Ziel (EP 2000). In diesem Zusammenhang ist
es interessant, auf die positive Entwicklung der Wasser-
qualität am Beispiel des Rheins zurückzublicken.
Der vom Menschen unbeeinflusste Rhein bildete mit
seiner vielfältigen Morphologie und seinen ausgedehn-
ten Auenlandschaften ein sehr diverses Ökosystem. Bis
ins 19. Jahrhundert brachte der Rhein niederländischen
Fischern noch reiche Lachsbestände. Im Zuge der Indus-
trialisierung, des einsetzenden Kohlebergbaus und der
Ansiedlung chemischer Industrie entlang des Rheins
begann jedoch die starke anthropogene Belastung. Aber
nicht nur die Ufer des Rheins waren von Veränderung
betroffen. Angefangen mit der Tulla'schen Rheinkorrek-
tur ab 1813 wurde der Rhein in weiten Teilen des Fluss-
laufes seiner Mäander beraubt, kanalartig eingebaut und
mit Staustufen versehen. Der Zweite Weltkrieg und die
zusammengebrochene Wirtschaft brachten dem Rhein
etwas Erholung (Reichelt 1986). Die Zeit der 1950er-
und 60er-Jahre war dann geprägt vom Wiederaufbau
und boomender Industrie. Die massive Einleitung unge-
klärter kommunaler und industrieller Abwässer führte
zu Sauerstoffmangel und in der Folge immer wieder zu
Fischsterben im Rhein (Hellmann 1994). Während der
70er-Jahre konnte durch den flächendeckenden Bau von
Kläranlagen in Städten und Industrie eine Verbesserung
der Wasserqualität erreicht und der Tiefpunkt in der
Chronologie der Rheinwassergüte überwunden werden
(DK 2001).
Neben den deutlich reduzierten sauerstoffzehrenden
Stoffen waren es aber auch toxische Verbindungen, die
der Wasserqualität des Rheins zusetzten. Dies machte
sich zum Beispiel im Phenolgeruch und der erhöhten
Quecksilberkonzentration in den Fischen bemerkbar
(Reichelt 1986). Bis in die 1980er-Jahre ereigneten sich
zudem zahlreiche Schiffs- und Chemieunfälle am
Rhein. Im Jahr 1986 gelangten nach einem Brand im
Werk des Pharmaunternehmens Sandoz bei Basel 10 bis
30 Tonnen Pflanzenschutzmittel über das Löschwasser
in den Rhein. Die Kontamination konnte sechs Tage
später noch in den Niederlanden nachgewiesen werden
und führte zu massenhaftem Fischsterben. Ereignisse
wie dieses sensibilisierten die Bevölkerung der Rhein-
staaten und ließen den Schutz des Rheins auf der poli-
tischen Agenda deutlich steigen (Malle 1994). Im Jahr
1987 verabschiedete die Internationale Kommission
zum Schutz des Rheins (IKSR) das „Aktionsprogramm
Rhein“, welches eine deutliche Verbesserung der Was-
serqualität bis zum Jahre 2000 zum Ziel hatte (Schulte-
Wülmer-Leidig 1994). Dieses Ziel konnte erreicht wer-
den, die punktuellen Einträge der als prioritär einge-
stuften Schadstoffe sanken zwischen 1985 und 2000 um
70 bis 100 Prozent (IKSR 2009b). Problematisch blieb
allerdings der Nährstoffeintrag. Bezüglich der Fauna
des Rheins waren ebenfalls Erfolge zu verzeichnen, was
zum einen an der verbesserten Wasserqualität und zum
anderen am Bau von Fischtreppen bzw. -pässen lag,
mithilfe derer zum Beispiel der Lachs wieder seine
Laichgebiete im Oberrhein erreichen soll. Auch die
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