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Als von den Franzosen Pierre de Fermat (1601 - 1663)
und Blaise Pascal (1623 - 1662) die Wahrscheinlichkeits-
rechnung entwickelt wurde, war ein weiteres wesentli-
ches Rüstzeug entstanden, das unsere heutige Vorstel-
lung von Klima entscheidend beeinflusst.
Auch der Schritt zur Synopse wurde in Europa voll-
zogen. Die Grundidee aus der Zusammenschau von
räumlich übergreifenden, standardisierten Klimames-
sungen Klimaaussagen abzuleiten, geht zurück auf die
Royal Society of London, die 1667 ihre Arbeit begonnen
hatte. Als erstes Ergebnis dieser synoptischen Untersu-
chungen erschien im Jahre 1688 die Windkarte von Hal-
ley, die älteste meteorologische Karte überhaupt. In
Frankreich wurde die Societé Royale de Medecin mit
einer vergleichbaren Zielsetzung begründet. In gleicher
Tradition befindet sich auch die in Mannheim 1780
begründete Societas Meteorologica Palatina. Diese
Gesellschaft organisierte erstmals ein Messnetz mit
genormten Instrumenten und festen Ableseterminen,
den Mannheimer Stunden. Leider erloschen diese Akti-
vitäten mit den französischen Revolutionskriegen. Kon-
krete Schritte in Richtung einer koordinierten und syn-
optischen Betrachtung gab es erst wieder durch die
Anregungen von Dove im Jahre 1863 auf der schweize-
rischen Naturforscherversammlung, 1872 auf der Nach-
folgeveranstaltung in Leipzig und im Jahre 1873 durch
die Einberufung eines internationalen Meteorologen-
kongresses in Wien. In der Folgezeit kam es weltweit zur
Einrichtung amtlicher Messnetze. Bereits 10 Jahre zuvor
waren die ersten täglichen Wetterkarten mit Isobaren
auf der Grundlage telegraphischer Wetterberichte von
Le Verrier im September in Paris erschienen. 1884 folg-
ten die ersten von der deutschen Seewarte und dem
Dänischen Meteorologischen Institut gemeinsam auf
der Basis von Schiffsjournalen herausgegebenen synop-
tischen Wetterkarten des Atlantiks und Europas, die so
genannten Hofmeyer-Karten.
Ein weiterer Quantensprung in der Klimabetrach-
tung folgte der Entwicklung des Computers und der
Raumfahrt mit den Möglichkeiten, die klimatischen
Abläufe von außen betrachten zu können. Heute stehen
Klimamodellierungen, die auf der Rechenleistung von
Supercomputern aufbauen, im Brennpunkt neuer Er-
kenntnisse.
Was als nüchterner Aufmarsch von technischen Neu-
erungen, Erkenntnisgewinnen von Protagonisten oder
institutionellen Veränderungen dargestellt werden kann,
war gerahmt von intellektuellen, psychologischen und
wahrnehmungsphilosophischen Strömungen - bis hin
zu Exzessen. Wetter, Witterung und Klima waren als
„von Gott gegeben“ Gegenstand religiöser Interpreta-
tion. Bittgottesdienste um Regen, Hagelfeiertage, Pro-
zessionen, Hochwasserpredigten, Wetterläuten und so
weiter zählten zu Alltagsritualen, die bis ins 19. Jahrhun-
dert weit verbreitet waren. Daneben existierte die astro-
logische (Fehl)deutung, aus der Konstellation der Ge-
stirne den Witterungsverlauf ableiten zu können, oft in
Form sogenannter Wetterregeln. Im 16. Jahrhundert war
die Astrometeorologie bereits in die Volksüberlieferung
eingedrungen. Eine besondere Form des Wetteraber-
glaubens ist die Personalisierung des Wettergeschehens.
Geister oder Dämonen galten als im Luftraum beheima-
tet und konnten besonders Wetter- bzw. Witterungs-
anomalien hervorrufen.
Eine Besonderheit bildeten die Bauernregeln, Lostage
und Prodigien. Zum Teil spiegelt sich in den oft in Vers-
form gehaltenen Wettersprüchlein das empirische und
lokalklimatische Erfahrungswissen der direkt von dem
Wetter Betroffenen wieder. So werden bestimmte phä-
nologische Phasen und Lostage benannt, zu denen Ar-
beiten auf dem Feld verrichtet werden mussten. Damit
existierte eine mündliche Tradierung der Wetterwahr-
nehmung, der Alltagserfahrung agrarer Gesellschaften,
die ganz wesentlich vom wiederum witterungsklima-
tisch beeinflussten Ernteertrag und der Ernährungs-
sicherung abhängig waren.
Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass in
weiten Phasen der Geschichte eine Vielzahl von Erklä-
rungsmodellen zur Verfügung stand, die oft auch gleich-
zeitig herangezogen wurden (Glaser & Vincelli 2009).
Und schließlich wurden in Annalen und Chroniken
seit Beginn der Schriftlichkeit Wetter, Witterung und
Klima in schriftlicher und in glaubwürdiger Form fest-
gehalten. Sie bilden eine wesentliche Grundlage der His-
torischen Klimatologie und stellen das einzige direkte
Wissen über Klima im historischen Kontext dar, meist
gekoppelt an die Klimafolgen. Die Historische Klima-
tologie kann aufgrund des reichen Quellenfundus in
Europa als weiteres Spezifikum eines eigenständigen
„europäischen“ Erkenntnisweges herausgestellt werden.
Ein weiteres Moment der Klimawahrnehmung war
auch stets die Frage nach den Ursachen, nach Kausalität
und „Schuld“. Regelmäßig wurde das Unerklärbare, etwa
nach Unwettern und Klimakatastrophen, zum Gegen-
stand von Exzessen. Behringer (2009) hat zu Recht die
Hexenverfolgungen als kollektives Verbrechen der Klei-
nen Eiszeit (1350 - 1850) bezeichnet.
Jedoch haben das Klima und seine Veränderung auch
immer wieder kulturelle Leistungen stimuliert. Unbil-
den gaben Anlass zur technologischen Innovation, wenn
etwa durch das häufige Zerstören von Wassermühlen im
Rheindelta Windmühlen entwickelt wurden. Durch den
Meeresspiegelanstieg im Zuge des mittelalterlichen
Wärmeoptimums - begünstigt durch großtektonische
Senkungen - reichten die Wurtensiedlungen an den
Küsten zur Sicherung nicht mehr aus. Die Gesellschaf-
ten reagierten darauf mit Eindeichungen, was eine völlig
neue Struktur gesellschaftlicher Ordnung und Organi-
sation bedeutete. Ebenso reagierte die Gesellschaft auf
die Hungersnöte, die dem „Jahr ohne Sommer“ folgten.
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