Geography Reference
In-Depth Information
schen Überlegungen geprägt (Hyndman 2000, Hynd-
man 2011, Hyndman & Mountz 2007, McGregor 2010):
Wie werden „Krisenregionen“, welche die Unterstützung
der Geberländer „benötigen“, und deren Hilfsbedürftig-
keit konstruiert? Wie wird das humanitäre Handeln und
Eingreifen in sogenannten „fragilen Staaten“ legitimiert,
normalisiert und welche Agenda steht dahinter? Wie
entstehen dadurch neue politische und materielle Ab-
hängigkeiten? Und wie werden so selektive Geographien
der humanitären Sichtbarkeit hergestellt, die andere
Notlagen in den Hintergrund drängen? Eine kritische
geographische Beantwortung dieser Fragen kann dazu
beitragen, den Altruismus der „Helfer“ als politisches
Instrument sowie die „globale Verantwortung“ der Ge-
berländer, auch die der EU, als rhetorischen Moralismus
zu verstehen.
Slogans wie „Kein Blut für Öl“ ebenso wie der Begriff
der „Blutdiamanten“ oder die als Katanga-Syndrom
bezeichneten Krankheitsbilder der Erde im Kontext
der „Raubbausyndrome“. So vereinfachend und holz-
schnittartig diese Slogans auch sind und so kritisch
deterministische Erklärungen für Zusammenhänge zwi-
schen Ressourcen und Konflikten hinterfragt werden
müssen, zentrieren und verweisen sie doch auf die viel-
fältigen Zusammenhänge zwischen (geo)politischer und
ökonomischer Macht einerseits und ungleichen Han-
delsbeziehungen andererseits, in denen sich westliche
Wertegesellschaften oft wenig um Menschenrechte,
Sozialstandards und Umweltbelastungen in den „Her-
kunftsländern“ importierter Ressourcen kümmern.
Es sind vor allem die im Zusammenhang mit Res-
sourcenverfügbarkeit, -zugang und -verteilung einher-
gehenden Fragen nach den Gewinnern und Verlierern
und den dadurch entstehenden neuen Raummustern,
die aus einer politisch ausgerichteten geographischen
Perspektive interessieren. Dabei zeigt sich, dass heutige
Abhängigkeiten und Machtverhältnisse oftmals an lang-
jährig gewachsene Strukturen der Ungleichheit und
Unterdrückung anschließen: Viele frühere Kolonien
sind auch heute noch in Rohstoffhandel zu für sie nach-
teiligen Bedingungen mit dem „globalen Norden“ einge-
bunden. Aber auch in einem weiter gefassten Sinn lassen
sich heutige Handelsbeziehungen häufig als Ausdruck
eines ökonomischen Imperialismus des „Westens“ bzw.
des globalen „Nordens“ gegenüber den ärmeren und
in der Regel wirtschaftlich unterlegenen Ländern des
globalen „Südens“ interpretieren. Im Gegensatz zum
Kolonialzeitalter beruhen heutige Machtbeziehungen
allerdings in der Regel nicht mehr auf dem Einsatz von
Waffengewalt und militärischer Unterwerfung. Viel-
mehr sind die Mechanismen der Unterdrückung und
der Produktion von Ungleichheit subtiler geworden: Sie
funktionieren über das Konstrukt des „freien Marktes“
und über die Wertvorstellungen und Gesetze einer glo-
balisierten Finanzwirtschaft, die oftmals - sowohl von
Nutznießern wie von Leidtragenden des Ressourcenhan-
dels - quasi als Naturgesetze wahrgenommen werden.
Gerade die Verteuerung von Nahrungsmitteln durch
Missernten, aber auch Börsenspekulationen zeigen eben-
so wie der Privatisierungswahn beim Wasser, wie weit
die Entkopplung zwischen den Grundbedürfnissen von
Menschen und den Begehrlichkeiten einer selbstinsze-
nierten Finanzwelt schon fortgeschritten ist. Dabei sind
Hunger und die Verteuerung von Nahrungsmitteln
Grundprobleme unserer Erde, die - wie zuletzt im ara-
bischen Raum - auch der Zündstoff für Unruhen und
Umstürze sein können.
Nicht nur die Entnahmen von Rohstoffen, auch die
Entsorgung von Abfallprodukten folgt oftmals alten,
bereits kolonial angelegten Pfaden, wenn die ökono-
misch potenten Länder abhängigen und ärmeren Staa-
Europa in der
Auseinandersetzung
um global bedeutsame
Rohstoffe und Ressourcen
Rüdiger Glaser und Annika Mattissek
Durch die zeitlich befristete Reichweite von Schlüssel-
ressourcen und die damit in Verbindung gebrachte
mögliche Endlichkeit vieler westlicher Lebensausprä-
gungen erscheinen die bereits Anfang der 1970er-Jahre
formulierten „Grenzen des Wachstums“ in eine gera-
dezu bedrohliche Nähe zu rücken. Dieses Bild wird
durch die gebetsmühlenartige Wiederholung der Roh-
stoffarmut und damit Importabhängigkeit Europas auf
der einen und die nicht nachhaltige westliche Lebens-
führung auf der anderen Seite genährt. Hinzu treten
augenfällige Belastungen der heute etwas sperrig als
„Ökosystemfunktionen und Ökosystemdienstleistun-
gen“ umschriebenen natürlichen Grundlagen, wie sie
nicht nur im Rahmen der Entnahmen, sondern auch
durch viele Produktionsprozesse und vor allem bei der
Entsorgung der Rest- und Abfallstoffe entstehen. Einfa-
che, didaktisch konzipierte Erklärungen und Indikato-
rensysteme wie der „ökologische Fußabdruck“, der
„ökologische Rucksack“, die Agenda-21-In di ka toren
oder die Berechnungen des für die Produktion eines
Gutes benötigten „virtuellen Wassers“ belegen dabei
eindrucksvoll die Ungleichverteilungen zwischen Euro-
pa (sowie anderen westlichen Industrieländern) und
weniger wirtschaftlich entwickelten Ländern, was den
Pro-Kopf-Verbrauch und die Pro-Kopf-Belastung der
natürlichen Umwelt anbelangt.
Auf die vielfachen ökonomischen, sozialen und poli-
tischen Einflüsse auf den Ressourcenhandel verweisen
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