Geography Reference
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tenden Geopolitiken haben sich jedoch nur selten in der
Geschichte ohne Widerstand derer durchsetzen können,
die dominiert, ausgebeutet und diszipliniert wurden.
„There are no relations of power without resistances […]
Like power, resistance is multiple and can be integrated in
global strategies“ (Foucault 1980). Gerade Globalisie-
rung und ökonomische Fragmentierung stoßen zuneh-
mend auf Widerstand in den betreffenden Regionen.
Die Dritte Welt wehrt sich. Ó Thuathail spricht in die-
sem Zusammenhang auch von Anti-Geopolitics , bei der
die „Gegenspieler“, die „Geographien von unten“, die
geographies of resistance (Pile & Keith 1997), der Wider-
stand gegen staatliche und andere Formen von Gewalt
in den Blick geraten. Vom Spartacus-Aufstand im alten
Rom, der Erhebung der römischen Sklaven gegen ihre
Herren, bis zu den aktuellen Widerstandsbewegungen
regionaler Gruppen in Ländern der „Dritten Welt“ ge-
gen autoritäre Herrschaft reicht die lange Reihe. Selten
war der Widerstand so gewaltfrei wie der legendäre
Kampf Mahatmah Gandhis gegen die britischen Koloni-
alherren in Indien, oft war er von grausamer Gewalt
begleitet.
Anti-Geopolitics richtet sich gegen die konkrete mili-
tärische, ökonomische und politische Gewalt, aber auch
gegen die symbolischen Repräsentationen dieser Gewalt.
So kann der Flug der Terroristen des 11. September 2001
in das World Trade Center als Kampf gegen ein Symbol
des westlichen Kapitalismus und seiner Führungsmacht,
der USA, interpretiert werden. Geopolitics from below
reicht von intellektuellen Diskursen einzelner Dissiden-
tengruppen über verschiedene Sozialbewegungen und
Aktionen von NGOs (Greenpeace, Robin Wood, BUND,
Friends of the Earth etc.) bis hin zu offenen Konflikten
und schließlich terroristischen Gruppierungen, welche
in einzelnen Nationalstaaten, aber auch transnational
agieren (wobei die jeweilige „Definitionsmacht“ be-
stimmt, was Terror und was legitimer Kampf ist).
Kontinuität war und ist nicht zuletzt Folge struktureller
Defizite, die sich im Laufe kolonialer Herrschaft entwi-
ckelt hatten, auch wenn daneben interne Faktoren mit-
verantwortlich zu machen sind (Wendt 2007).
Informelle Imperien
So bildeten beispielsweise Süd-Korea, Taiwan, die Phil-
ippinen und zeitweise Süd-Vietnam Teile eines USA-
dominierten Informal Empire . Im Vorderen Orient
versuchte für einige Zeit Großbritannien eine solche
Stellung einzunehmen. Auch Frankreich spielt bis heute
nicht nur ökonomisch und kulturell weiterhin eine zen-
trale Rolle in seinen ehemaligen Kolonien (Exkurs 8.4).
Die sich in Lateinamerika zeitweise etablierenden Mili-
tärdiktaturen (in Chile, Argentinien und Brasilien) kön-
nen als Erfüllungsgehilfen von Informal Empires inter-
pretiert werden, da sie, wie Naomi Klein in ihrem
Bestseller „Die Schock-Strategie“ (2007) deutlich macht,
ihre Länder der bitteren Arznei einer neoliberalen
Schocktherapie der Schule des einflussreichen Chica-
goer Ökonomen Milton Friedman auslieferten, das
heißt deren Wirtschaft unter die Kontrolle ausländischer
Konzerne gaben.
Als Formen eines informellen Imperiums mag man
auch eine weltweite kulturelle Verwestlichung interpre-
tieren. Westliche Lebensstile und Konsumformen ver-
breiten sich weltweit und schaffen mentale und mate-
rielle Abhängigkeiten. Ideologien wie Kapitalismus oder
Sozialismus, Konstitution von Nationalstaaten und so
weiter sind europäische Organisations- und Wirtschafts-
formen, welche den überseeischen Staaten übergestülpt
wurden. Menschenrechte, Demokratie, Gleichheit der
Geschlechter oder ökologische Nachhaltigkeit sind eu-
ropäische Diskurse, welche mit universellem Anspruch
auftreten. Eines der dauerhaftesten Phänomene kultu-
reller „Verwestlichung“ ist wohl die Verbreitung europä-
ischer Sprachen über die Welt. Nutzten um 1500 nur
8 Prozent der Menschheit ein europäisches Idiom, so
waren es Ende des 20. Jahrhunderts 33,4 Prozent (Wendt
2007). Gleichzeitig verbreitete sich die lateinische
Schrift; bisher nicht verschriftete Sprachen wurden in
Zeichen umgesetzt, welche sich ebenfalls am europä-
ischen Standard orientieren (beispielsweise in Indone-
sien). Somit wurden Sprache und Schrift zu kolonialen
und schließlich postkolonialen Herrschaftsinstrumen-
ten, welche die Menschen der Peripherien kulturell und
mental an ihre europäischen Mutterländer banden.
Die Europäische Union als
globale Handelsmacht im
Zeitalter des Neoliberalismus
Die Dekolonisation, das Ende der formalen Herrschaft
Europas über große Teile der Welt, hat die politischen
und ökonomischen Machtverhältnisse nicht grundsätz-
lich verändert. Interessen in der überseeischen Welt lie-
ßen und lassen sich auch mithilfe informeller Struktu-
ren aufrechterhalten. Die jungen Länder blieben in
vielfältiger Weise in ökonomischer, aber auch in politi-
scher und kultureller Hinsicht an die ehemaligen Mut-
terländer gebunden oder gerieten in Abhängigkeit von
einer anderen Macht (USA oder Sowjetunion). Diese
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