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Ideological Geopolitics
theorie geprägt und orientierten sich an biologistischen
Weltbildern ( survival of the fittest ). In Deutschland ent-
wickelte um die Jahrhundertwende Friedrich Ratzel,
einer der wichtigsten Methodiker der Geographie und
Begründer der Politischen Geographie, seine Lehre von
der Erforschung der „Beziehungen zwischen dem Staat
und dem Boden“ (Ratzel 1903). „Lage“, „Raum“, „ge-
schichtliche Bewegung“ und „Grenzen“ wurden die zen-
tralen Kategorien seiner Politischen Geographie; es ging
ihm um die Aufdeckung des Zusammenhangs von staat-
lichen Lebensvorgängen und Naturgrundlagen.
Dem nie ruhenden Raumbedürfnis des Lebens steht
bei Ratzel der begrenzte Raum der Erdoberfläche entge-
gen; aus diesem „Widerspruch“ ergibt sich für ihn „auf
der ganzen Erde“ ein Kampf von „Leben mit Leben um
Raum“ (Ratzel 1887). Ein Staat konnte nur dann Ge-
sundheit und Stärke ausstrahlen, wenn er zu beständi-
gem Wachstum, das heißt zur ständigen Territorial-
expansion, fähig war. Dieser „Kampf ums Dasein der
Staaten“ legitimierte entsprechend der darwinistischen
Grundthese jeden Imperialismus und Expansionismus,
solange er nur „bodengewachsen“ und „geographisch be-
dingt“ war.
Wesentlicher Antrieb für das geopolitische Denken in
der imperialistischen Zeit war der sich Ende des 19. Jahr-
hunderts aufbauende Gegensatz zwischen Großbritan-
nien und dem erstarkenden Deutschen Kaiserreich
unter Wilhelm II. Einer der ersten und bekanntesten
Geopolitiker dieser Zeit wurde der englische Geograph
Halford Mackinder. Mackinder machte sich Gedanken
über die zukünftige, möglicherweise gefährdete Rolle
des weltumspannenden britischen Kolonialreichs. Geo-
politisches Denken bei den Eliten und geopolitische Er-
ziehung in den Schulen schien ihm unabdingbar. Es ist
notwendig, so argumentierte er, „that the ruling citizens
of the world-wide Empire should be able to visualize dis-
tant geographical conditions […] Our aim must be to
make our whole people think imperially - think that is to
say in spaces that are world-wide - and to this end our geo-
graphical teaching should be directed“ (Mackinder 1907,
zit. nach Ó Tuathail et al. 1998).
Zwei „Innovationen“ sind es vor allem, die sein geo-
politisches Denken besonders im Umfeld des Ersten
Weltkriegs so bedeutsam machten: Er teilte die gesamte
Erde in globaler Perspektive in geopolitische Kategorien
ein, und er behauptete einen bestimmenden Einfluss der
Geographie auf den Verlauf von Geschichte und Politik.
Kurz - von Mackinder geht die bis heute herrschende
Form der Geopolitik aus, große Teile der Erde mit sehr
unterschiedlichen Strukturen, Menschen und Lebens-
formen mit einem einzige Etikett zu versehen, „labeling
huge swaths of the world's territory with a singular iden-
tity“ (Ó Tuathail et al. 1998).
Imperialistische Machtpolitik und Kolonialreiche wur-
den nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs abgelöst
durch den sich rasch aufbauenden Ost-West-Gegensatz
zwischen kapitalistischer und sozialistischer Staaten-
welt. Der erstmals von Winston Churchill 1946 so
bezeichnete iron curtain teilte die Welt in zwei weltan-
schauliche Lager, denen auch diametral entgegenge-
setzte Wirtschaftssysteme entsprachen. Für fast fünf
Jahrzehnte wurde das politische Weltbild des 20. Jahr-
hunderts durch den Kalten Krieg bestimmt; die poli-
tisch-geographische Weltwahrnehmung verengte sich,
became the geopolitical monochrome of good versus evil,
capitalism versus communism, the West versus the East,
America versus the Soviet Union“ (Ó Tuathail et al. 1998).
Werte, Mythen und catchwords der jeweils im Zweiten
Weltkrieg siegreichen Großmächte, also der USA und
der UdSSR bestimmten die Diskurse und wurden welt-
weit übernommen. Ó Thuathail spricht für diese Phase
daher von Cold War Geopolitics .
New World Order Geopolitics
Die seit 1990 einsetzende Phase bezeichnen sowohl
Agnew & Corbridge wie Ó Thuathail als New World
Order Geopolitics. Mit dem Ende der Sowjetunion fand
auch der über Jahrzehnte stabile Ost-West-Diskurs mit
all seinen geopolitischen Raumbildern sein Ende.
Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts verblassten
sowohl der politische Ost-West- wie der einsträngige
ökonomische Nord-Süd-Diskurs. Klare Fronten und
Feindbilder verwischten sich, neue Projektionen von
„Wir und die Anderen“ und Konstruktionen von „Welt-
bildern“ traten an deren Stelle. In den 1990er-Jahren
entwickelten sich die beiden aktuellen „Megadiskurse“
zur räumlichen Ordnung der heutigen Welt heraus:
jener einer umfassenden Globalisierung und der einer
zunehmenden räumlichen Fragmentierung der Erde, one
world versus many worlds oder in polemischer und zu-
dem einseitiger Zuspitzung: „McWorld“ versus „Jihad“.
Immerhin hat das Ende des festgefahrenen Ost-West-
Konflikts auch der Geopolitik einen freieren Blick auf
die jetzt einsetzende Vielfalt der Diskurse und Zuschrei-
bungen eröffnet; der Konstruktionscharakter vieler geo-
politischer Raumbilder und Diskurse wurde offenkun-
dig.
Geopolitics from below, Anti-Geopolitics
Geopolitische Vorstellungen sind in der Regel aus der
Position der Mächtigen und Privilegierten dieser Welt
konstruiert. Staatsmacht und die sie affirmativ beglei-
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