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1945 bis heute: Phase der
Dekolonisation
Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren Jahr-
zehnte einer schrittweisen Dekolonisation. Zwischen
1946 und 1949 wurden die alten Völkerbundmandate
im Vorderen Orient aufgehoben; auch die amerikani-
schen (Philippinen), britischen und niederländischen
Kolonien in Asien gewannen ihre Unabhängigkeit.
Frankreich versuchte in einer letzten Anstrengung, seine
Stellung in den Kolonien in Indochina (Laos, Kambod-
scha, Vietnam) wiederzuerlangen. Diese Bemühungen
gingen in der berühmten Niederlage von Dien Bien Phu
1954 unter, wo der (damals noch nicht kommunisti-
sche) Führer der Vietnamesen Ho Chi Minh ihnen eine
vernichtende Niederlage beibrachte. Französische Inter-
vention wurde hier allerdings durch amerikanische
abgelöst und erst 1975 erlangten diese Länder ihre wirk-
liche Unabhängigkeit (Abb. 8.2).
Zwischen 1956 und 1964 wurden fast alle afrikani-
schen Kolonien unabhängig, mit Ausnahme der portu-
giesischen Gebiete Angola und Mosambik, welche erst
1975 ihre Unabhängigkeit erlangten.
Auch die nachkolonialen Staaten und ihre Eliten
konnten sich in der Regel von den kolonialzeitlichen
Raumstrukturen, insbesondere den Grenzziehungen
und der Staatsorganisation in Form eines National-
staats, nicht mehr lösen. Die Beibehaltung der kolonia-
len Strukturen schien aus Effizienz- wie Machtgründen
opportun bzw. unabdingbar. Dadurch legitimierte sich
sozusagen noch nachträglich die koloniale Aufteilung
des Kontinents Afrika wie auch des Vorderen Orients
und damit die koloniale Herrschaft. So war die Welle der
formalen Unabhängigkeit der Staaten Afrikas in den
1960er-Jahren gleichbedeutend mit einer zweiten Auf-
teilung des Kontinents.
Abb. 8.2 Zur Erinnerung an den vietnamesischen Revolutions-
führer und Staatschef Ho Chi Minh, der die Unabhängigkeit von
der Kolonialmacht Frankreich erreichte, wurde im Norden von
Hanoi ein von vielen Touristen besuchtes Mausoleum errichtet
(Foto: Hans Gebhardt).
bildenden weltpolitisch führenden Rolle Großbritan-
niens geprägt. Im Kontext der Industriellen Revolution
und der damit entstehenden ökonomischen wie kultu-
rellen Dominanz Europas wurde es als europäische Auf-
gabe empfunden, auch anderen Kontinenten und Kultu-
ren die europäischen „Errungenschaften“ nahebringen
zu müssen. Das berühmte Gedicht von der white man's
burden , mit dem die Briten ihre Kolonialpolitik verban-
den, illustriert den Ansatz vielleicht am anschaulichsten.
Die Vorstellungen einer europäischen Kulturdominanz
waren überlagert von älteren Vorstellungen göttlicher
Vorsehung und der Verpflichtung zu christlicher Mis-
sionstätigkeit. Den Kolonisten folgten die Missionare
nicht selten auf den Fuß oder aber sie wurden zu Vor-
läufern der kolonialen Einbindung.
Der Europäische Blick auf die Welt
und die europäische Geopolitik
Die Rolle Europas im Prozess der Kolonisierung und
Dekolonisation spiegelt sich in den zu verschiedenen
Zeiten entwickelten geopolitischen Weltbildern wider.
Ó Tuathail, Dalby & Routledge (1998) sowie Agnew &
Corbridge (1995) unterscheiden eine Reihe zeitlich ein-
ander nachfolgender Richtungen von Geopolitik und
der europäischen Rolle in der Welt.
Civilizational Geopolitics
Naturalized Geopolitics
Die Zeit zwischen dem Wiener Kongress 1815 und etwa
1875 war Agnew & Corbridge (1995) zufolge von einer
stabilen balance of power in Europa und der sich heraus-
Die geopolitischen Vorstellungen zwischen etwa 1875
und 1945 waren stark von der Darwin'schen Evolutions-
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