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Exkurs 8.2
Kolonialismus und Imperialismus
„Kolonisation“ bezeichnet im Kern einen Prozess der Land-
nahme, „Kolonie“ eine besondere Art von politisch-gesell-
schaftlichem Personenverband, „Kolonialismus“ ein Herr-
schaftsverhältnis „zwischen Kollektiven, bei welchem die
fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung
der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und
kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren
unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen ge-
troffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbin-
den sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische
Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der
Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertig-
keit beruhen“ (Osterhammel 1995).
Kolonialismus ist damit ein „Spezialfall“ von Imperia-
lismus, ein Begriff, unter dem „alle Kräfte und Aktivitäten
zusammengefasst werden, die zum Aufbau und zur Erhal-
tung […] transkolonialer Imperien beitrugen. Zum Imperia-
lismus gehört auch der Wille und das Vermögen eines impe-
rialen Zentrums, die eigenen nationalstaatlichen Interessen
immer wieder als imperiale zu definieren und sie in der
Anarchie des internationalen Systems weltweit geltend zu
machen“ (Osterhammel 1995).
Phasen der kolonialen Neubildung
durch Europäer
grenzten Territorien oder Nationen ( territoriality ).
Die unselige Neuordnung der Staatenwelt nach dem
Ersten Weltkrieg und auch der blutige Versuch natio-
nal-territorialer Lösungen beim Zerfall Jugoslawiens
ist diesem Denken geschuldet, und wir haben uns bis
heute mit den Folgen herumzuschlagen.
Osterhammel (1995) unterscheidet verschiedene Perio-
den kolonialer Neubildung durch Europäer, die im Fol-
genden betrachtet werden sollen.
Diesen Fundamenten gewissermaßen übergeordnet
ist das vierte, pursuing primacy , die Idee eines nicht
enden wollenden Wettstreits zwischen Territorien.
1492-1820: iberische Phase -
das spanische und portugiesische
Kolonialsystem
Europa hat einen langen Entwicklungspfad „vom Kolo-
nialismus zur Globalisierung“ (Wendt 2007) hinter sich.
Mit jeweils unterschiedlichen Zielen und Mitteln hat
Europa seit dem 15. Jahrhundert seine kontinentalen
Grenzen überschritten und mit seinem Ausgreifen nach
Übersee dabei vielfältige Formen von Adaptionen, An-
eignungen, aber auch Zerstörungen in Asien, Afrika,
Amerika und Australien ausgelöst.
Koloniale Herrschaft von Europäern - und in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch von Nordame-
rikanern und Japanern - über große Teile der Erde war
ein herausragendes Merkmal der Weltgeschichte zwi-
schen 1500 und 1960. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg
kam der französische Ökonom Arthur Girault zu dem
Ergebnis, das Festland der Erde sei zu etwa der Hälfte
von Kolonien bedeckt. Mehr als 800 Millionen Men-
schen, das heißt ungefähr zwei Fünftel der Weltbevöl-
kerung, unterstünden kolonialer Herrschaft: 440 Milli-
onen in Asien, 120 Millionen in Afrika, 60 Millionen in
Ozeanien und 14 Millionen in Amerika (Osterhammel
1995).
Die „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus 1492 bil-
dete einen Startpunkt für die europäische „Eroberung
der Welt“ (Chomsky 1995). Man kann, wie Adam Smith
1776 formulierte, von einem „Handelsprojekt“ im Indi-
schen Ozean und einem „Eroberungsprojekt“ in Ame-
rika sprechen.
In Südostasien agierten „Handelskrieger“, aus denen
dann die großen ostindischen Handelsgesellschaften
hervorgingen. Sowohl die Portugiesen als auch die Hol-
länder, die jene seit etwa 1620 ablösten, und schließlich
auch die Briten, die ab 1740 zur wichtigsten europä-
ischen Handelsmacht in den östlichen Meeren aufstie-
gen, gründeten Küstenstützpunkte als Handelszentra-
len. Daraus entstand vor dem letzten Drittel des
18. Jahrhunderts jedoch nur in Ausnahmefällen eine
ein größeres Territorium umfassende Kolonialherr-
schaft.
Anders in der Neuen Welt. Nach dem raschen Zu-
sammenbruch des Azteken- und Inkareichs wurde vor
allem Südamerika zum ersten Experimentierfeld der
weltweiten europäischen Expansion in der Neuzeit; ab
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