Geography Reference
In-Depth Information
schichte der europäischen Expansion und der Kolonisie-
rung der Länder und Lebenswelten anderer Völker betrach-
ten (Chakrabarty 2010). In diesem Sinne unterliegt Europa
einer „Provinzialisierung“ des früher imperialistischen und
universalistischen Europas, die „Standards“ werden künftig
woanders gesetzt.
Im folgenden Kapitel werden die „Ambivalenz“ Europas
in der Geschichte der Neuzeit, the dark and bright side of
Europe und seine aktuelle „Provinzialisierung“ in einer
Reihe von Teilkapiteln behandelt. Das erste behandelt in
aller Kürze die 500 Jahre europäischen Imperialismus und
Kolonialismus - vor allem von den Briten als the white
man's burden ideologisch gerechtfertigt und verbrämt -,
während sich das zweite Teilkapitel vor allem kritisch der
aktuellen Rolle im Rahmen des neoliberalen Wirtschafts-
modells widmet. Ein drittes Teilkapitel behandelt Europas
Rolle im Kontext von resource scarcity , dem Kampf um Roh-
stoffe für die globalisierte Wirtschaft, während das ab-
schließende Teilkapitel den ökologischen „Schatten“, den
Europa seit der Industrialisierung über die Welt geworfen
hat, sowie seinen aktuellen ökologischen Imperialismus in
den Blick nimmt.
500 Jahre europäische
Vorherrschaft in der Welt -
Europa als globaler Macht-
faktor und Unterdrücker
im Laufe der Geschichte
500. Jahres der alten Weltordnung, die bisweilen auch
die weltgeschichtliche Ära des Kolumbus oder des Vasco
da Gama genannt wird, je nachdem welcher plünde-
rungsbegierige Abenteurer zuerst die jeweilige Küste
der Verheißung betrat. Das wichtigste Kennzeichen die-
ser alten Weltordnung war die weltweite Konfrontation
von Eroberern und Eroberten. Sie hat unterschiedliche
Formen angenommen und unterschiedliche Namen
erhalten: Imperialismus, Neokolonialismus, Nord-Süd-
Konflikt, Zentrum vs. Peripherie, G-7 (die sieben füh-
renden kapitalistischen Industriegesellschaften) und ihre
Satelliten vs. den Rest der Welt. Oder einfacher: die euro-
päische Welteroberung“ (Chomsky 1995).
Was hier, nicht selten im Namen der christlichen
Religion ablief, hatte schon der Nestor der Volkswirt-
schaftslehre Adam Smith 1776 in seinem Epoche
machenden Werk „Wealth of Nations“ auf den Punkt
gebracht: „Die brutale Ungerechtigkeit der Europäer ließ
ein Ereignis, das sich für alle zum Vorteil hätte auswir-
ken müssen, für einige dieser unglücklichen Länder zum
Ruin und zur Zerstörung werden. Für die Eingeborenen
[…] der Ostindischen wie der Westindischen Inseln sind
alle Handelsvorteile, die sich aus diesen Ereignissen hät-
ten ergeben können, von dem furchtbaren Unglück, das
diese Länder befiel, in den Abgrund gerissen worden
[…] Mit der Überlegenheit, die Gewalt verleiht […],
konnten sie in diesen entlegenen Ländern ungestraft
jede Ungerechtigkeit begehen“ (zit. nach Chomsky
1995).
Vor allem die Eroberung der Neuen Welt war die
Ursache für zwei globale demographische Katastrophen
der frühen Neuzeit, die in der Geschichte ihresgleichen
suchen: Zum einen wurde die eingeborene Bevölkerung
in Nord- und Südamerika praktisch ausgerottet, zum
zweiten wurde Afrika verwüstet, als der Sklavenhandel
sich rapide ausweitete, um die Bedürfnisse der Eroberer
zu befriedigen. Dabei fiel der ganze Kontinent unter das
Joch fremder Herren. Auch große Teile Asiens erlitten
ein ähnliches Schicksal.
Seit rund 500 Jahren herrscht auf der Erde eine euro-
päische Weltordnung. Wallerstein schreibt in seinem
„Weltsystem“ (2001), dass mit der frühen Neuzeit
(15./16. Jahrhundert) das moderne kapitalistische Welt-
system mit feudalen bzw. bürgerlichen Klassengesell-
schaften und kapitalistischer Ökonomie der Europäer
auf den Plan trat, das als vernetztes System von Ländern
verstanden werden kann, welche durch ökonomische
und politische Konkurrenzbeziehungen miteinander
verbunden sind.
Seit dem 15. Jahrhundert begann man, die Erfor-
schung fremder Kontinente als Gelegenheit zur Auswei-
tung des europäischen Handels und zur wirtschaftlichen
Expansion zu begreifen. Neue Schiffbautechniken und
Navigationsverfahren führten dazu, dass mehr und
mehr Orte und Regionen über Handelsbeziehungen
zueinander in Kontakt traten. Mehrere „Vorherrschafts-
zyklen“ lösten sich, ausgehend von Europa, dabei ab.
Seit dem 16. Jahrhundert entfaltete sich unter Führung
der Königshöfe der frühen Nationalstaaten (Portugal,
Spanien) die moderne kapitalistische Wirtschaft. Gold
und Silber aus der Neuen Welt brachten Kapital nach
Europa. Im 18. Jahrhundert traten dann Holland, Eng-
land und Frankreich an die Stelle der iberischen Staaten,
nach dem Ersten Weltkrieg die USA. Das Weltsystem der
Gegenwart ist von der „Triade“ bestimmt, das heißt von
der US-amerikanischen, der westeuropäischen und ja-
panischen Wirtschaft (Wallerstein 1986).
Kritiker des europäischen Imperialismus und Kolo-
nialismus urteilen über diese 500 Jahre wenig freund-
lich: „Der 11. Oktober 1992 bezeichnete das Ende des
 
Search WWH ::




Custom Search