Geography Reference
In-Depth Information
Netze, Zugänge und Verkehre
im Informations- und
Kommunikationszeitalter
Jürgen Rauh
„If I only had possession of the yet-to-be-invented little
remote-telephone apparatus which one could carry
around in one's pocket you would have received a message
from me a long time ago“ (Munch 1910, aus einem Brief-
entwurf zitiert nach einer Informationstafel im Munch-
Museum, Oslo). Der norwegische Maler und Grafiker
Edvard Munch bewies einen hellseherischen Weitblick,
als er bereits vor 100 Jahren die Einführung des Handys
antizipierte. Dies war eine Zeit, in der die Kommunika-
tion in Europa auf dem Weg der gelben Post schon zügig
funktionierte, das Telegramm war eine Neuerung, die
mit hohen Kosten verbunden war und das Telefon stand
noch am Anfang seines Eroberungszuges durch Europa.
In den privaten Haushalten dominierten diese zwei
Kommunikationsmittel, Brief und Telefon, auch noch in
den 1980er-Jahren die Fernkommunikation. Über nahe-
zu ein Jahrhundert war die Telekommunikation ledig-
lich von einer Technologie geprägt, die mit sehr wenigen
Endgeräten auskam. Die dynamische Entwicklung und
Vielfalt der neuen Informations- und Kommunikations-
technologien (IKT) in nur wenigen Jahren spiegelt sich
in einer unüberschaubaren Anzahl an von kryptischen
Kürzeln geprägten technischen Begriffen (z. B. ADSL2+,
FttH/FttB, IPTV, LTE, VoIP, WiFi oder WiMAX) wider,
deren Halbwertszeit rapide sinkt. Sie stehen aber nur
stellvertretend für das Informationszeitalter, welches
weite Teile der europäischen Gesellschaften in den letz-
ten Jahren erfasst hat und dem nachgesagt wird, dass es
uns in eine Informations- und Netzwerkgesellschaft ver-
ändert (Castells 2001). So begegnen uns täglich diese
IKT und die neuen Formen der Kommunikation im
beruflichen und privaten Umfeld wie auch im öffent-
lichen Raum. Ganz offensichtlich wird dies, wenn wir in
den Einkaufsstraßen aller europäischen Städte an Läden
der Telekommunikationsanbieter vorbeigehen oder in
den Cafés Wiens und Prags Menschen mit Handy am
Ohr, in den Metros in Paris, Moskau oder Berlin ge-
schäftig SMS in das gleiche Gerät eintippen oder sich
mit den Smartphones durch die Straßen Roms oder
Londons navigieren sehen. Internetcafés hingegen ver-
schwinden aus den Städten Europas schon wieder, da
Funktechnologien und handliche mobile Endgeräte fast
überall in Städten den Zugang zum Internet ermög-
lichen (Abb. 7.36). Weniger klar hingegen sind die tech-
nischen und sozialen Strukturen, die Netze, die (Nicht-)
Nutzer und deren Anwendungsmotive, die Verkehre und
Beziehungen dieser aufstrebenden Netzwerkgesellschaft
und die Frage, ob sich in einem zusammenwachsenden
Abb. 7.36 Free Wireless Internet in einer Gaststätte in Göte-
borg (Foto: Rauh 2011).
Europa auch gemeinsame Kommunikationsweisen und
-räume ermitteln lassen.
Wenn in der Verkehrsgeographie die Rede von Net-
zen ist, dann sind damit in der Regel die Infrastrukturen
in Form von Straßen, Schienen, Wasserwegen und so
weiter gemeint (Nuhn & Hesse 2006). Die technischen
Netzinfrastrukturen in der Telekommunikation sind
dagegen weniger bekannt, da sie kaum im öffentlichen
Raum sichtbar sind und auch von der Raumplanung
kaum beachtet werden. Dennoch ist deren Bedeutung
für die Standort- und Regionalentwicklung von hoher
Relevanz (Rauh 2002). Die Netze sind seit der Liberali-
sierung der europäischen Telekommunikationsmärkte
in den 1990er-Jahren in vielfältiger Form weiterentwi-
ckelt worden und werden von (ehemals) staatlichen wie
auch privaten Unternehmen mit eigenen Funk- und
Festnetzen betrieben. Bei diesen Netzen lassen sich die
bekannten räumlichen Logiken von Hierarchien, Zen-
trum und Peripherie gut beobachten. So entstehen die
schnellsten und modernsten Netze am ehesten dort, wo
die potenzielle Nachfrage am höchsten und die Erschlie-
ßungskosten am niedrigsten sind. Für Festnetze wie dem
der britischen Firma Colt (Abb. 7.37) heißt dies: in den
Agglomerationen mit großer Wirtschaftskraft. Colt hat
in den größten europäischen Zentren innerstädtische
Breitbandnetze aufgebaut (sogenannte Metropolitan
Area Networks ) und diese Agglomerationen wiederum
mit eigenen Netzen verbunden. Bei den Funknetzen
spielen beim Rollout nicht nur die Besiedlungs- und
Unternehmensdichte eine wichtige strategische Kompo-
nente, sondern auch lokale Hotspots (z. B. periodisch
besuchte Standorte wie Transiträume, Fußballstadien,
Messestandorte, Festivalgelände) und viel befahrene
Straßen. Dagegen werden dünn besiedelte Räume nur
dank staatlicher Förderung und Auflagen mit leistungs-
fähigen, schnellen Netzen erschlossen. Dies geschieht im
Laufe des Diffusionsprozesses vergleichsweise spät, was
Search WWH ::




Custom Search