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Abb. 7.10 Die Expo „Die Ozeane: Ein Erbe für die Zukunft“ fand 1998 auf einer ehemaligen Hafenbrache im Stadtteil Santa Maria
dos Olivais in Lissabon statt. Die Bilder zeigen den „Atlantik-Pavillon“ und den Vasco-da-Gama-Turm im Hintergrund (a) sowie den
von Santiago Calatrava entworfenen Bahnhof „do Oriente“ (b). Das Gelände ist heute in den „Park der Nationen“ mit Einkaufszen-
trum und Messegelände umgestaltet worden. Es soll den Strukturwandel in dem ehemaligen Industrie- und Hafenstadtteil voran-
treiben (Fotos: Sebastian Lentz).
von Lebensformen aus dem Stadtbild verdrängt (Roost
2000, Wasko 2001).
Solche Maßgaben und Effekte gelten mehr oder
weniger gleich für Städte in der ganzen Welt, sodass
sich die Frage stellt, mit welchen spezifischen Bedin-
gungen Städte in Europa oder „europäische“ Städte, so
wie sie oben beschrieben wurden, umgehen müssen.
Die politisch-kulturellen Rahmenbedingungen wurden
oben bereits angesprochen. Darüber hinaus ist zu be-
achten, dass das europäische Städtesystem in hohem
Maße durch die Industrialisierung geprägt wurde.
Wenn Globalisierung in ähnlicher Ausprägung die Ab-
kehr von der fordistisch-industriellen zu tertiären, auf
Informationsverarbeitung beruhenden Wirtschaftsfor-
men bedeutet, dann werden die Anpassungsbedarfe,
wie sie oben bereits für die postsozialistischen Städte
angesprochen wurden, deutlich. Eine Vielzahl von Städ-
ten in Europa macht deshalb seit Jahrzehnten einen
sehr intensiven Strukturwandel durch, der sich unter
anderem in der Entwertung und Neubewertung von
Nutzflächen und entsprechenden Restrukturierungen
zeigt. Der Exkurs 7.4 zeigt am Beispiel der Hafenstädte,
dass sie immer schon die Funktion hatten, eine Stadt
und ein Hinterland mit der weiteren Welt zu verbinden.
Dieser Strukturwandel unterbricht häufig den Wachs-
tumspfad, den Städte in Europa in den letzten Jahr-
hunderten fast geschlossen und ununterbrochen einge-
schlagen hatten, und führt zu einem komplexeren
räumlichen Muster, in dem ökonomisches Wachstum
und vielschichtige Schrumpfungsprozesse oft nahe bei-
einander liegen.
Regionen mit der Weltwirtschaft zu verbinden, ist
wohl die prominenteste Funktion von Städten in der
Globalisierungsforschung geworden, nicht zuletzt durch
den Ansatz der Globalization-and-World-City- (GaWC)-
Forschungsgruppe in Loughborough, die internationale
Konnektivität von Städten zu messen, um den Grad
ihrer Integration in die Weltwirtschaft zu bestimmen.
Betrachtet man die entsprechenden Rankings und Kar-
togramme, so fällt auf, dass Städte in Europa vergleichs-
weise prominent und dicht auf den vorderen Plätzen
auftauchen, und zwar mit einer gewissen Unabhängig-
keit von ihrer Bevölkerungszahl. Das ist zum einen plau-
sibel, da Funktionen, wie sie heute zur Vernetzung in der
Weltwirtschaft dienen, nicht auf die Versorgung einer
lokalen Bevölkerung und nur bedingt eines lokalen
Unternehmensmarktes ausgerichtet sind. Zum anderen
muss man sich in Erinnerung rufen, dass diese Funktio-
nen auch das Ergebnis einer historischen Entwicklung
sind, die auf die Rolle europäischer Städte im Ausgriff
Europas (Entdeckung und Kolonisierung) auf die Welt
zurückgeht. Das betrifft sowohl die Entscheidung, sol-
che Funktionen in Europa anzusiedeln, als auch die
langfristige Entwicklung von Wirtschaftsstrukturen -
und schließlich auch, trotz aller Virtualisierung in der
informationsbasierten Wirtschaft, nach wie vor die phy-
sische Existenz von Infrastrukturen.
Die oben bereits zitierte Studie des BBSR hat deshalb
in eine Typisierung der Metropolfunktionen auch eine
Relation zur Bevölkerung eingerechnet. Das derart
erzeugte Kartenbild reproduziert zunächst einmal, kon-
zentriert man sich auf die multifunktional ausgestatte-
ten Metropolen, das bekannte Raumbild der „Blauen
Banane“. Abseits dieses Kernraums treten vermehrt
Städte auf, die ein Übergewicht durch ihre Bevölke-
rungszahl haben, worin sich nicht zuletzt eine späte(re)
Teilhabe an der europäischen Integrationsdynamik spie-
gelt (BBSR 2010, S. 88, Abb. 46). Außerdem wird deut-
lich, dass die europäische Städtelandschaft in weiten
Gebieten multifunktional und komplementär ist. Das
Verständnis der europäischen Stadt als solitärer Ort ver-
schwindet in dieser Perspektive, und vermutlich auch in
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