Geography Reference
In-Depth Information
Abb. 7.2 Im Kontrast zur nordamerikanischen Stadt, für die eine exzessive Suburbanisierung kennzeichnend ist, wird Dichte häu-
fig zu einem Synonym für Urbanität stilisiert, ohne dass jeweils unterschieden wird, welche Qualität mit dem zunächst einmal
nur formalen Merkmal „Dichte“ erreicht werden mag, wie zwei Bilder aus Istanbul illustrieren mögen: Die . stiklal Caddesi (a),
eine der wichtigsten Geschäftsstraßen, dürfte ein Beispiel für vibrierendes urbanes Leben bieten, während die bis an den Stadt-
rand enorm dicht bebauten Wohnquartiere Istanbuls (b) diese Qualität zumindest nicht per se zu bieten scheinen (Fotos: Sebas-
tian Lentz).
Europa ging davon aus, dass ein Schlüssel im Verständ-
nis der ökonomischen Autonomie der europäischen
Stadt bei gleichzeitigem scharfem Gegensatz zum umge-
benden, feudal regierten Land liege. In dieser Situation
hätten in der Stadt ohne grundherrschaftliche Beschrän-
kungen und unter ständigen Anregungen durch Fremde
und Zuwanderer soziale, kulturelle und nicht zuletzt
wirtschaftliche Innovationen stattfinden können. Eine
der wichtigsten Voraussetzungen war die Sicherung des
Eigentums der Bürger gegenüber willkürlichen Zugrif-
fen der Obrigkeit. Aus dieser inneren Sicherheit heraus
knüpften die freien Städte untereinander Handelsnetze,
die ab etwa 1300 für einen wirtschaftlichen Aufschwung
in Mittel- und Oberitalien, in Flandern und im Gebiet
der Hanse sorgten (Exkurs 7.2). Sie wurde durch Inno-
vationen im Handel und Finanzwesen ermöglicht, die
vor allem von den oberitalienischen Städten ausgingen,
wie den bargeldlosen Zahlungsverkehr mittels Wechsel
und durch rationale Kalkulationen mögliche Gewinne
in Handelstransaktionen. Das reiche bauliche Erbe in
Städten wie Brügge und Gent in Flandern, Florenz und
Pisa in der Toskana und natürlich in Venedig zeugt von
dieser Epoche wirtschaftlicher Blüte. Die starke Präsenz
von Fachtermini italienischen Ursprungs in der Sprache
der Finanzwelt ist ein anderes, lang anhaltendes Echo
der damaligen Innovationen im Fernhandel, die von den
oberitalienischen Städten ausging (Exkurs 7.2).
Die Gegenüberstellung der europäischen und der
nordamerikanischen Stadt bezog sich immer auch auf
den Unterschied in der Verwertung von Grund und
Boden, der sich am markantesten in der Innenstadt
zeigt: Während die europäischen Städte trotz der Aus-
breitung des tertiären Sektors weitgehend multifunktio-
nale Innenstädte behalten haben, ist das Produkt der
nordamerikanischen Stadt der CBD, das heißt ein durch
die Kräfte des Markts entstandener und sich nur durch
ihre Verwertungsinteressen weiterentwickelnder Ge-
schäftsbezirk, in dem ausschließlich diejenigen Funktio-
nen vertreten sind, die den Verwertungsinteressen priva-
ter Investoren entsprechen. Der Widerstand gegen eine
solche Umformung der zentralen Stadtbereiche kommt
aus verschiedenen Richtungen. Hier wird einerseits die
„gebaute Wirklichkeit“, die architektonische Substanz
der Städte gesehen, mit ihren rechtlich verankerten Par-
zellenzuschnitten und Straßenführungen, die nur schwer
zu verändern sind. Eine zweite Kraft resultiert aus den
Aufgabenzuweisungen an die städtische Administration,
in denen sich Planungen der physischen Gestalt der
Städte mit der Fürsorgepflicht für ihre Bürger verbin-
den, die stets auch zu berücksichtigen hat, dass die
Innenstädte in mehr oder weniger hohem Maße noch
die Wohnfunktion beinhalten, dass sie der täglichen wie
der mittelfristigen Versorgung der Bürger dienen und
dass ihnen in ganz besonders ausgeprägtem Maße
Repräsentationsfunktionen zukommen. Diese Reprä-
sentationsfunktionen dürfen keineswegs einseitig aus
der Perspektive der Stadtregierung gedacht werden, son-
dern sie beziehen sich ebenso auf eine mentale und poli-
tische Verankerung der Stadtbürger, die sich besonders
dann als Widerstand bemerkbar macht, wenn Entwick-
lungspläne die Veränderung eines Stadtbildes vorsehen,
die von den Bürgern als Verletzung oder Verachtung
eben dieses Gefühls der eigenen sozialen Einbettung
und mentaler Verankerung empfunden werden. Die
Proteste um die Umgestaltung des Stuttgarter Haupt-
bahnhof 2011 mögen ein öffentlich besonders promi-
nentes Beispiel sein, sie sind aber nur eines von vielen
für das Interessenbündel, das auf der Bühne der Innen-
Search WWH ::




Custom Search