Geography Reference
In-Depth Information
Siedlungseinheiten und die sie verbindenden Infrastruk-
turen wie Straßen, Pipelines oder Funknetze zu analysieren,
ist eine klassische Aufgabe der Raumwissenschaften. Sie
stellen die materielle Grundlage für die soziale Reproduk-
tion und die wirtschaftliche Entwicklung von Gesellschaf-
ten dar. An ihrem Aufbau, ihren Funktionen und Verflech-
tungen lassen sich Prinzipien der Organisation der Gesell-
schaft und ihrer Wertvorstellungen studieren.
Die europäische Stadt im
Spannungsfeld zwischen
klassischer Zentralität
und globalen Beziehungen
Stadtzentren architektonisch hochwertig auszustatten
oder wertvolle historische Bausubstanz zu erhalten, son-
dern diesen Grundsatz auf alle Teile der Stadt auszudeh-
nen, um die Aufenthaltsqualität generell hoch zu halten
oder zu erhöhen, damit Städte als Lebensraum attraktiv
bleiben. Weiterhin sind die Fähigkeit der Städte zu sozi-
aler Integration und ihre kooperative governance we -
sentliche Eigenschaften, die gestärkt werden müssen.
Mit dem Attribut „europäisch“ wird ihnen auf diese
Art also eine Qualität zugeschrieben. Als ideenge-
schichtlichen Hintergrund solcher Zuschreibungen
kann man zwei Diskurse zur Definition der europä-
ischen Stadt ausmachen: die Auseinandersetzung mit
der Stadt in Ostasien und die mit der Stadt in Nordame-
rika. Beide Diskurse finden gemeinsame, aber auch
unterschiedliche Eigenheiten der europäischen Stadt.
Der erste Argumentationsstrang geht zurück auf Max
Weber, der in spezifischen Verhältnissen, die Städte in
Europa geboten haben, Gründe für die Entstehung des
produktiven Kapitalismus sucht. Aus der Kontrastierung
mit Städten in Ostasien erarbeitet er eine Kombination
von fünf Merkmalen, die elementar für die - wie er sie
nennt - „okzidentale“ Stadt sind (Weber 1920ff., Häu-
ßermann 2001):
Die Idee der europäischen Stadt
Im Mai 2007 trafen sich im Rahmen der deutschen Rats-
präsidentschaft der EU in Leipzig Minister der Mit-
gliedsstaaten, die für Stadt- und Raumentwicklung
zuständig sind, und beschlossen die „Leipzig-Charta zur
nachhaltigen europäischen Stadt“. Obwohl solche Do-
kumente jeweils kleine Glanzstücke der Diplomatie
sind, die konsensfähige Formulierungen zu finden hat,
enthält die Leipzig-Charta dennoch sehr klare Aussagen
über die Ziele der Stadtentwicklung, auf die sich die
beteiligten EU-Mitglieder in der Folge verpflichtet ha-
ben. So wird die Charta ein Dokument der offiziellen
Einschätzung zu Problemen und Chancen der aktuellen
Entwicklungen in Städten in Europa. Dementsprechend
werden insgesamt sieben Handlungsstrategien einer
integrierten Stadtentwicklungspolitik empfohlen, mit
deren Hilfe das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in
den Städten Europas erreicht werden soll. Man kann
dies als einen Erfolg des Nachhaltigkeitsdiskurses in der
Folge der Konferenz von Rio de Janeiro sehen und
danach fragen, ob die gewählten Maßnahmen geeignet
sind, die angestrebten Verbesserungen zu erreichen.
An dem Dokument ist darüber hinaus aber auch
interessant, dass die Merkmale der „europäischen“ Stadt
beschworen werden und mit welchen Attributen dies
geschieht. Dass die Charta einmal mehr den Vertre-
tungsanspruch der EU-Mitgliedstaaten für das Attribut
„europäisch“ formuliert, mag man als strategische Ver-
einfachung erklären, die natürlich auch darauf zielt,
Gemeinsamkeiten zwischen allen Akteuren zu schaffen.
Die Leipzig-Charta betont die Bedeutung öffentlicher
Räume, spricht ein gewachsenes historisches Erbe an,
das nicht zuletzt ein baukulturelles Erbe sei und die
urbane Kulturlandschaft wesentlich ausmache. Sie wird
mit einem Appell an ein hohes Niveau baukultureller
Ausstattung verbunden, was wiederum auf die repräsen-
tative Bebauung der zentralen Plätze in den antiken wie
in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten
verweist. Allerdings appelliert die Charta, nicht nur die
Befestigung und damit eine klare Abgrenzung nach
außen und Schutz nach innen
Funktion als Markt und der Verdienst an einer
Grundrente
eigene Gerichtsbarkeit und mindestens teilweise eige-
nes Recht
Charakter als Rechtsverband und damit verbunden
Autonomie und Regierung durch selbstbestellte Be-
hörden
Die Auseinandersetzung mit typischen Entwicklungen
der nordamerikanischen, das heißt vor allem mit der
US-amerikanischen Stadt kann als Bestandteil eines spe-
zifischen, ökonomisch und kulturell orientierten Globa-
lisierungsdiskurses verstanden werden. Er wird ebenfalls
im 20. Jahrhundert in der wissenschaftlichen Diskussion
bedeutsam und geht davon aus, dass weltweit Anglei-
chungen auf allen Ebenen der gesellschaftlichen wie
staatlichen Verfasstheit stattfinden (Konvergenzthese),
die sich auch auf Organisation und Struktur der Städte
auswirken. Die USA führen diesen Prozess durch Inno-
vationen an, und von dort breiten sich neue Strukturen
in die ganze Welt aus (Lichtenberger 2005).
Search WWH ::




Custom Search