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Exkurs 6.8
Aus- und Rückwanderung Hochqualifizierter
Andreas Ette und Lenore Sauer
Im Jahr 2009 sind etwa 700 000 Bürger aus einem der 27
Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) ins Ausland
verzogen. Angesichts der Bevölkerungsgröße der EU wirkt
diese Zahl auf den ersten Blick vernachlässigbar. Dennoch
gibt es kaum ein europäisches Land, was sich in den ver-
gangenen Jahren nicht intensiv mit der Auswanderung sei-
ner eigenen Staatsbürger beschäftigt hat. Die befürchtete
flight of the creative class (Florida 2007) hat zu einer regen
wissenschaftlichen und politischen Diskussion geführt (z. B.
Dalen & Henkens 2007, OECD 2008, Kohler 2010). Hinter-
grund dieses Interesses ist die im Zusammenhang der Inter-
nationalisierung der Arbeitsmärkte und der Transnationali-
sierung der Lebenswelten beobachtbare Zunahme der
Anzahl an Auswanderern aus hoch entwickelten Staaten. Im
europäischen Vergleich zeigt sich diese Entwicklung am
deutlichsten in Schweden, wo sich die Auswanderungsrate
zwischen Mitte der 1980er-Jahre und heute mehr als ver-
doppelt hat. Ähnliche Entwicklungen werden zum Beispiel
auch für Deutschland, die Niederlande und Großbritannien
verzeichnet (Abb. 1). Mit der Wirtschaftskrise der vergan-
genen Jahre wurde dieser Trend - zumindest vorläufig - in
einigen Staaten unterbrochen, in anderen - gerade südeu-
ropäischen - Staaten steigt die Auswanderung seitdem je-
doch deutlich an.
Wichtiger noch als die absoluten Zahlen der Auswande-
rer aus hoch entwickelten Staaten ist die Sozialstruktur die-
ser international mobilen Bevölkerungsgruppe. Vorliegende
Untersuchungen zur Auswanderung aus Industriestaaten
kommen übereinstimmend zu dem Befund, dass es sich
hier überwiegend um Personen mit einem überdurch-
schnittlichen Bildungs- und Qualifikationsniveau handelt
(Massey & Redstone Akresh 2006, Docquier & Rapoport
2009, Erlinghagen et al. 2009). In einem aktuellen For-
schungsprojekt zur internationalen Migration im europä-
ischen Vergleich wurde erstmals der European Union
Labour Force Survey (EULFS) für eine detaillierte Analyse
des Umfangs und der Determinanten der Auswanderung
innerhalb Europas genutzt (Ette & Sauer 2010a). Die in allen
Mitgliedsstaaten der EU durchgeführte Arbeitskräfteerhe-
bung zeigt, dass die internationale Migration Hochqualifi-
zierter bestehende ökonomische Ungleichheiten zwischen
den Mitgliedstaaten verstärkt. Für die Analyse wurden für
sämtliche EU-15-Staaten (vor der Osterweiterung der Jahre
2004 und 2007) die Zahlen der seit maximal 5 Jahren in
dem entsprechenden Land lebenden Hochqualifizierten
(mindestens Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss) aus
den jeweils übrigen 14 EU-Staaten berechnet. Auf dieser
Grundlage lassen sich somit für jeden der 15 Staaten Aus-
sagen sowohl über die Auswanderung als auch über die Ein-
wanderung Hochqualifizierter treffen. Aus methodischen
Gründen wurden die Analysen nicht nur für ein Jahr, son-
Auswanderungsrate (in ‰)
4
3
2
1
0
1985
1900
1995
2000
2005
Deutschland
Schweden
Großbritannien
Niederlande
Abb. 1 Entwicklung der Auswanderungsrate der eigenen
Staatsbürger für ausgewählte Mitgliedsstaaten der Europä-
ischen Union (1985-2009) in Promille (Daten: Eurostat).
ländern, die manche Beobachter bereits besorgt als
brain drain deuten. Seit den 1990er-Jahren stiegen in
mehreren europäischen Ländern die Auswanderungsra-
ten deutlich an, etwa in Schweden, Deutschland, den
Niederlanden, Großbritannien und Belgien (Ette &
Sauer 2010a). Jüngste Untersuchungen zeigen aller-
dings auch, dass die Rückwanderungen nach Europa
ebenfalls an Bedeutung gewinnen (Exkurs 6.8).
Die Wanderungen von Hochqualifizierten, Studie-
renden und Rentnern verweisen schließlich auf ein wei-
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