Geography Reference
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erung von Einkünften nach dem jeweils national gültigen
Recht und teils höheren Steuersätzen.
Wie im Falle ökonomisch motivierter Wanderungen kon-
zentrieren sich auch die Zielgebiete der freizeitorientierten
Mobilität auf konkrete geographische Räume mit spezifi-
schen Bedingungen. Neben dem Gunstklima zählen dazu in
der Regel ein nahe gelegener Flughafen, die unmittelbare
Nähe zur Meeresküste, Seeufern oder reizvollen Bergland-
schaften sowie das attraktive Immobilienangebot. In den
Zielregionen hat dies zu einer teils massiven Veränderung
der lokalen Wirtschafts- und Sozialstruktur geführt. Gerade
in kleineren Gemeinden in Spanien, Malta oder Zypern stel-
len die europäischen Zuwanderer mittlerweile die absolute
Bevölkerungsmehrheit - in Orten wie San Fulgencio oder
Teulada-Moraira (Provinz Alicante, Spanien) fallen sogar
mehr als 80 Prozent aller Einwohner unter die Kategorie der
„europäischen Residenten“ (Abb. 1). Zudem fällt eine starke
Konzentration einzelner Nationalitäten in bestimmten Städ-
ten und Dörfern auf: So leben annähernd 80 Prozent aller
Norweger in der spanischen Provinz Alicante in nur zwei
Gemeinden (Torrevieja und Alfàs del Pí). Auch die Schwei-
zer konzentrieren sich, zum Beispiel in Rojales, während in
Els Poblets und Calpe überwiegend Ausländer deutscher
Herkunft leben und in San Miguel de Salinas überwiegend
britische Residenten anzutreffen sind. Hinzu kommt: Die
lokale Infrastruktur wird aufgrund der Zuwanderung von im
Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt deutlich „älteren“
EU-Bürgern, die zudem auch nach längerem Aufenthalt nur
rudimentäre Kenntnisse der Verkehrssprache besitzen, vor
erhebliche Herausforderungen gestellt (insbesondere im
Gesundheits- und Pflegesystem, den Schulen, aber auch
der Kommunalverwaltung im Allgemeinen).
Auch aus integrationspolitischer Perspektive besitzt die
freizeitorientierte Migration interessante Konsequenzen,
vor allem wenn der Blick auf das umfassende soziale und
politische Engagement der Migranten sowie die damit ein-
hergehenden identitätspolitischen Konstruktionsprozesse
gerichtet wird. Denn zur Verwirklichung eines freizeitorien-
tierten Lebensstils gehören für viele europäische Residen-
ten nicht nur Aktivitäten wie regelmäßige Spaziergänge,
Gartenarbeiten, Muße am Strand oder die Pflege sozialer
Kontakte in Cafés und Gaststätten. Auch die politische Par-
tizipation sowie die aktive Beteiligung in Clubs und Vereini-
gungen ist von erheblicher Bedeutung - allein in der Provinz
von Alicante sind mehr als 700 ausländische Vereine regis-
triert, welche die Basis eines vielfältigen Gemeinwesens bil-
den (Janoschka & Haas 2011). Die unterschiedlichen For-
men der Partizipation lassen sich auch als „alltäglich
gelebtes Europa“ interpretieren, das heißt als European citi-
zenship practice . Das Engagement bereichert nicht nur die
oft in der Minderheit befindliche „Mehrheitsgesellschaft“ -
vielmehr steht es stellvertretend für einen grundlegenden
Wandel im Selbstverständnis der Migranten bzw. Ausländer.
Sie sehen sich als Teil einer Migrationsgesellschaft, an
deren Gestaltung sie aktiv mitwirken möchten. Eine solche
Projektion des politisch zusammenwachsenden Europas
auf das gelebte und alltägliche Geographie-Machen wird
auch anhand der zunehmenden Zahl ausländischer Stad-
träte in der Provinz Alicante deutlich: Die lokalpolitische
Beteiligung stellt eher die Regel denn eine Ausnahme dar,
und in mehreren Gemeinden haben sich die Zuwanderer
mittlerweile zum entscheidenden Faktor der Lokalpolitk
entwickelt (Janoschka 2011; Abb. 1). So werden gleichzeitig
neue und andere Stakeholder-Beziehungen zwischen der Be-
völkerung und den Politikern etabliert, die eine Neuver-
teilung der lokalpolitischen Ressourcen sowie die Verän-
derung der politischen Mechanismen und Zielsetzungen
ermöglichen. Die politischen Beteiligungsfelder der freizeit-
orientierten Migration sind Ausdruck und Impuls für eine
neuartige Dimension der europäischen Integration: die kon-
krete Ebene der Bürger.
1987 vom Erasmus- und Sokrates-Programm gefördert,
das inzwischen von über 200 000 Studierenden jährlich
wahrgenommen wird (European Commission 2010).
Die mit Abstand wichtigsten europäischen Zielländer
für internationale Studierende aus Staaten außerhalb
und innerhalb der EU sind Großbritannien (ca. 350 000
ausländische Studierende, v. a. aus Asien), Frankreich
(ca. 247 000 Studierende, v. a. aus Afrika) und Deutsch-
land (ca. 207 000 Studierende, v. a. aus Osteuropa; Inter-
national Organization for Migration 2010).
Eine weitere Migrationsform, deren quantitative Be-
deutung auch zunimmt, sind die Wanderungen Hoch-
qualifizierter (Ette & Sauer 2010a). In der Regel werden
darunter Menschen mit einem höheren tertiären Bil-
dungsabschluss oder gleichwertiger Expertise in einem
spezifischen Berufsbereich gefasst. Ein Teil dieser Hoch-
qualifiziertenmigration bzw. -mobilität - häufig handelt
es sich um temporär begrenzte Wanderungen - findet
im Rahmen multinationaler Unternehmen sowie inter-
nationaler und supranationaler Organisationen statt. In
den letzten Jahren wuchs das wirtschaftliche und politi-
sche Interesse an der Migration Hochqualifizierter als
einer „erwünschten“ Form von Arbeitsmigration, der
eine zentrale Rolle für die Zukunftsfähigkeit der europä-
ischen Ökonomien zugeschrieben wird. Um die Zuwan-
derung hochqualifizierter Arbeitskräfte nach Europa zu
fördern, wurden besondere migrationspolitische Maß-
nahmen implementiert bzw. diskutiert - wie die „Blue-
Card“ der EU, die deutsche „Green-Card“ oder das bri-
tische Punktesystem. Unabhängig davon nimmt der
Anteil an hochqualifizierten Personen unter den Mi-
granten innerhalb der EU zu (Recchi 2008).
Im Zusammenhang mit der Migration Hochquali-
fizierter tritt ein neues Phänomen im europäischen
Migrationsgeschehen auf: die Abwanderung von Hoch-
qualifizierten aus den europäischen Einwanderungs-
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