Geography Reference
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Medium sozialen Handelns verarbeitet wird (Groß 2006).
Die Umwelthistorikerin Linda Nash schlägt mit Blick auf
diese Frage vor, umwelthistorische Narrative sollten beto-
nen, dass menschliche Intentionen nicht in einem Vakuum
emergieren, dass Ideen oft nicht klar von Handlungen
geschieden sind und dass menschliche agency nicht von
der Umwelt zu trennen ist, in der er sich entwickelt. Men-
schen wären demnach nicht die Motoren der Geschichte,
sondern Partner eines kommunikativen Prozesses mit der
lebenden und unbelebten Natur, in dem die Bedingungen
der Existenz ausgehandelt werden (Nash 2005).
gen, die von mehr als einer Generation benutzt werden, wei-
sen ein solches „ökologisches Erbe“ auf (Laland et al.
1999).
Praktiken und Arrangements sind miteinander in einem
Prozess gegenseitiger Beeinflussung verbunden. Daher
kann der Prozess der Geschichte insgesamt als Folge von
Transformationen von sozio-naturalen Schauplätzen durch
co-evolutionäre Entwicklung begriffen werden.
Über den Begriff des Schauplatzes wird es auch mög-
lich, darauf aufmerksam zu machen, dass erst die Ge-
schichtswissenschaft diese Schauplätze konstituiert, in-
dem sie historische Situationen mit diesem Begriffsinventar
analysiert. Da diese Analyse zumeist aufgrund von mensch-
lichen Artefakten, also auf Basis von Beobachtungen, die
Menschen angestellt haben, erfolgt, handelt es sich um
eine Beobachtung zweiter Ordnung, eine Beobachtung von
Beobachtungen. Mithilfe eines solchen Konzepts kann die
Frage nach der Rolle von Natur in der Geschichte auf adä-
quatem theoretischem Niveau bearbeitet werden, die Dicho-
tomie Natur/Kultur kann überwunden werden, und akteurs-
orientierte und systemische Betrachtungen lassen sich
koppeln.
Bei solchen Überlegungen sollte eine Eingangsbedin-
gung nicht übersehen werden: Natur im Sinne von ökologi-
schen, biologischen, chemischen und physikalischen Pro-
zessen sowie Landschaftsgestalt, Klima, Böden, Wetter und
so weiter wird in der Umweltgeschichtsschreibung als
erklärungsmächtig für historische Abläufe gesetzt. Erst
wenn diese Setzung nicht als solche offengelegt wird, tritt
die Frage nach der Eigenmächtigkeit der nicht als Erzähl-
und Erklärungskonzept deklarierten, essentialisierten „Na-
tur“ auf (Winiwarter & Knoll 2007, Nash 2005). Oder noch
einmal anders formuliert: Nur eine dialektische Herange-
hensweise erlaubt einen tragfähigen Umgang mit der Frage
nach der Natur der Natur. Wir existieren in fundamentaler
Natur und als fundamentale Natur, die nicht in unserer Ver-
fügung steht. Alle Natur ist aber gesellschaftlich konstru-
iert. Wer Natur oder gesellschaftliches Handeln in der Natur
erforschen will, muss die normativen Elemente der eigenen
Position bedenken und benennen (Steinberg 2002), das
heißt, die Rolle des wissenschaftlichen Beobachters oder
der Beobachterin in erkenntnistheoretischem Sinne als sol-
che anerkennen und ansprechen.
Orte der Natur oder der Kultur?
Sozio-naturale Schauplätze
Es gibt kein allgemein als Grundlage umwelthistorischer
Arbeiten akzeptiertes Konzept zum Umgang mit der Frage
des Verhältnisses von Natur und Kultur. Der Verzicht auf
diese Dichotomie könnte eine Lösung sein. Das Konzept der
sozio-naturalen Schauplätze, das einem Vorschlag von
Theodor Schatzki folgend entwickelt wurde (Schatzki 2003,
Schmid & Winiwarter 2008), nutzt zwei Begriffe, die beide
weder der Natur noch der Kultur zuzuordnen sind und statt-
dessen die Materialität von Orten betonen. Sozio-naturale
Schauplätze werden demnach durch Arrangements (syste-
misch) und Praktiken (akteurszentriert) konstituiert.
Wie ist das zu verstehen? Die Praktiken, beispielsweise
jene der vorindustriellen Landwirtschaft, sind in Arrange-
ments, nämlich in die vorindustrielle Landschaft, eingebet-
tet, wobei Praktiken durch Arrangements gebunden sind,
aber diese auch verändern. Jede agrarische Innovation ver-
ändert die menschliche Arbeit ebenso wie die Felder, Wie-
sen oder Wälder, in denen sie stattfindet. Die Arrangements
zu einem bestimmten Zeitpunkt sind immer durch den his-
torischen Umgang mit Natur bedingt, sie tragen die Spuren
vergangener Praktiken.
Allgemein kann formuliert werden, dass Praktiken und
Arrangements immer von früheren beeinflusst sind und
spätere mitbestimmen. Das wird einleuchtend, wenn man
daran erinnert, dass Menschen veränderte Umwelten ver-
erben, weil sie steuernd in diese eingegriffen haben, sei es
durch Felder, Straßensysteme oder Städte. Darin sind die
Menschen übrigens nicht allein. Alle Tiere, die Bauten anle-
europäischen Dimensionen wohnen diesen Phänomenen
inne? Was lässt sich auf der europäischen Ebene dazu aus-
sagen?
Im Folgenden werden zu den genannten Themenkreisen
die klassischen Grundlagen der Physischen Geographie
Europas in einer problemorientierten Sichtweise angebo-
ten. Dies soll dem Erwartungshorizont entsprechen, den
ein Leser an ein solches Buch stellen kann. Diese basic
facts werden durch neue Sichtweisen und aktuelle Pro-
blemfelder angereichert.
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