Geography Reference
In-Depth Information
1980er-Jahre ein gewerkschaftlicher Neuaufbruch ein-
setzte. Aufgrund tiefer Zersplitterung haben die polni-
schen Gewerkschaften mittlerweile aber ihren Einfluss
eingebüßt. Ungarn steht für den „kooperativen Plura-
lismus“, wo ebenfalls in den 1980er-Jahren neue Ge-
werkschaften entstanden, die aber, anders als in Polen,
untereinander kooperierten und auch Betriebsräte als
Partner in den Betrieben hatten; allerdings sind auch die
ungarischen Gewerkschaften vom Mitgliederschwund
betroffen. Slowenien weist einen „innovativen Plura-
lismus“ auf; hier gelang es den Gewerkschaften, eine
starke gewerkschaftliche Präsenz in den Unternehmen
zu erhalten, verstärkt durch die Einführung von Be-
triebsräten. Eine wichtige Innovation war dabei das In-
strument einer sektoralen Lohnfindung, verbunden mit
einer kompletten Tarifbindung aller Beschäftigten. In
anderen Ländern, wie Tschechien, der Slowakei und
Lettland, konnte zwar die gewerkschaftliche Zersplit-
terung vermieden werden, doch kam es auch hier zu
Mitgliederschwund, insbesondere mangels gewerkschaft-
licher Erfolge bei Lohnerhöhungen und Arbeitsplatz-
sicherung.
Die Gewerkschaften in Deutschland und in anderen
westlichen Nachbarländern spürten infolge der gewerk-
schaftlichen Schwäche in Mittel- und Osteuropa eine
verschärfte Standortkonkurrenz innerhalb der EU, be-
sonders in Bezug auf die Tarifbindung und die Allge-
meinverbindlichkeit von Branchenverträgen, einherge-
hend mit einer weiteren Unternehmenszentrierung von
Entgeltfindungen. In Deutschland zeichnet sich diese
Tendenz vor allem seit der Wiedervereinigung in den
neuen Bundesländern ab. In Deutschland gelten Tarif-
verträge nur noch für knapp zwei Drittel aller Arbeits-
verhältnisse. Insofern hat dieser Prozess der EU-Erweite-
rung den Umbruch der Arbeitsmärkte in den älteren
Beitrittsländern forciert. Zugleich hat die EU-Integra-
tion von Mittel- und Osteuropa die transnationale
Mobilität der Arbeitskräfte beeinflusst, sei es als Wande-
rung in der EU, sei es als neue EU-Grenze nach außen.
ser Armut (Kapitel 3). Während die Grenzkontrollen in
der EU aufgehoben worden sind, erfolgt nun eine über-
aus gründliche Kontrolle an den Außengrenzen der EU.
Trotzdem kamen zu Beginn dieses Jahrhunderts Schät-
zungen zufolge jährlich 500 000 Menschen illegal in die
EU. Die Gesamtzahl illegal Eingewanderter dürfte An-
fang der 2000er-Jahre etwa bei 500 000 Menschen in
Deutschland, 300 000 in Frankreich, 200 000 im Verei-
nigten Königreich und 800 000 in Italien gelegen haben;
von diesen Migranten sind schätzungsweise 70 Prozent
zugleich illegal Erwerbstätige (Boswell & Straubhaar
2004).
Die legale Arbeitskräftemobilität innerhalb der Mit-
gliedsstaaten wurde im EG-Vertrag festgelegt, der die
vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes beschreibt.
Neben dem freien Verkehr von Gütern und Kapital ist
für den Arbeitsmarkt die freie Mobilität von Personen
(„Arbeitnehmerfreizügigkeit“) von Bedeutung sowie auch
die „Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit“ von
Selbstständigen und juristischen Personen. Im Vertrag
von Maastricht wurde die EU-Bürgerschaft begründet.
Damit verfügen alle EU-Bürger über das Recht, unge-
achtet ihrer Nationalität in alle anderen EU-Mitglieds-
staaten zu reisen und sich dort aufzuhalten. Aufgrund
einer 2004 erlassenen Richtlinie hat ein EU-Bürger auch
das Recht, in einem anderen Mitgliedsland eine Arbeit
zu suchen und von den Freizügigkeiten Gebrauch zu
machen (Houwerzijl 2006).
Houwerzijl (2006) unterscheidet drei Phasen der
Regulierung innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten. In der
ersten Periode von 1957 bis 1970 galt eine Übergangsre-
gelung, in der die Mitgliedsstaaten noch Bedingungen
an die Einreise und den Aufenthalt von Beschäftigten,
Selbstständigen und Unternehmen aus einem anderen
Mitgliedsstaat knüpfen konnten. Doch während des da-
maligen Wirtschaftsaufschwungs und der damit verbun-
denen Arbeitskräfteknappheit in Westeuropa wurden
Arbeitnehmer aus südlichen Mitgliedsländern des Mit-
telmeerraums, aber auch aus Ländern außerhalb der
Gemeinschaft, insbesondere aus ehemaligen Kolonien
sowie aus der Türkei, angeworben.
In der nächsten Phase, von 1970 bis 1989, erwies sich
die Arbeitsmigration der Bürger innerhalb der Mit-
gliedsländer als stabil auf vergleichsweise niedrigem
Niveau. Das Wirtschaftswachstum in den Zielländern
hatte sich abgeschwächt, sodass auch seit 1973 die aktive
Anwerbung zurückging. Außerdem waren teilweise die
Unterschiede im Lebensstandard zwischen den Mit-
gliedsländern nicht so gravierend, dass sie zu Migration
auf breiter Ebene Anlass gegeben hätten. Dies lag auch
daran, dass eine stärkere Verflechtung und Verlagerung
von Unternehmen innerhalb und zwischen den Mit-
gliedsländern eintrat, die zumindest in einigen Regio-
nen der ehemals ärmeren Landesteile zur Verbesserung
der Beschäftigungssituation beitrugen.
Transnationale Mobilität von
Arbeitskräften
Seit Ende 2007 gehören alle EU-Mitgliedstaaten dem
Schengen-Abkommen an, ausgenommen Irland, dem
Vereinigten Königreich und Zypern sowie die erst in
demselben Jahr der EU beigetretenen Länder Bulgarien
und Rumänien. Island und Norwegen, die nicht zur EU
gehören, wenden demgegenüber die Vorschriften von
Schengen vollständig an (EU 2010). Mit dem Schengen-
Abkommen bildet die Europäische Union eine Einheit
von Ländern mit vergleichsweise hohem Wohlstands-
niveau. Diese Länder grenzen im Osten und im Süden
an Länder mit geringeren Einkommen und teils immen-
Search WWH ::




Custom Search