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vorhandene Materialien nutzen bzw. aufgrund ihrer
Standortwahl keine Transportkostenvorteile haben.
Neuere Formen von Agrarwirtschaft bzw. Agrobusi-
ness entwickeln sich ebenfalls zunehmend standortun-
gebunden von klimatischen Einflüssen oder der Qualität
der Böden. Dies gilt bei der Pflanzenproduktion in Ge-
wächshäusern und in besonderem Maße für die Tier-
produktion (Schweinemast, Hühnerställe etc.). Hier
kommen andere Standortfaktoren zum Tragen, bei-
spielsweise die Nähe zu Absatzmärkten oder die Einbet-
tung in agroindustrielle Produktionskomplexe.
Ein typisches Beispiel eines solchen weitgehend
standortunabhängigen Produktionsclusters ist die Re-
gion Südoldenburg. Beiderseits der BAB A 1 ist in den
Landkreisen Vechta und Cloppenburg ein „Silicon Val-
ley“ der Agrartechnologie für die Veredelungswirtschaft
entstanden, obwohl die naturräumlichen Voraussetzun-
gen für Agrarwirtschaft auf den schlechten Sanderböden
Norddeutschlands mit dazwischen gelagerten Mooren
eigentlich eher schlecht sind (Windhorst 2004; Abb.
5.18).
Gleichwohl haben, insbesondere in den Jahrzehnten
der deutschen Teilung, Lagevorteile zwischen den Ag-
glomerationen des Ruhrgebiets und Westberlins als den
wichtigsten Absatzräumen dazu geführt, dass hier suk-
zessive ein agrarisches Intensivgebiet der Tierproduk-
tion (Schweinemast, Eierproduktion, später auch schlüs-
selfertige Herstellung von Agrarproduktionsanlagen)
entstanden ist, das praktisch europaweit kein Pendant
hat. Hier werden auf engstem Raum auf weniger
als 1 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche
Deutschlands etwa 10 Prozent der deutschen Mast-
schweine, 19 Prozent der Legehennen, 13 Prozent der
Jungmasthühner und 31 Prozent der Mastputen herge-
stellt (Windhorst 2004).
Aus der Primärproduktion ist inzwischen ein Cluster
der Agrartechnologie (Herstellung und Vermarktung
von Tierhaltungsgeräten) entstanden mit weltweiten
Absatzbeziehungen unter anderem in die USA, aber
auch in den Vorderen Orient. In Südoldenburg ist damit
der für die westlichen Industriestaaten typische Um-
strukturierungsprozess der Agrarwirtschaft hin zur
„Agroindustrie“ sehr weit fortgeschritten.
Die industrielle Agrarwirtschaft Südoldenburgs gerät
seit Jahrzehnten immer wieder in die Schlagzeilen. Mit
die auffälligste „Nebenwirkung“ dieser Landwirtschaft
ist die Geruchsbelästigung aus der Tierhaltung in Groß-
beständen und durch das Aufbringen tierischer Exkre-
mente (vor allem Gülle). Nicht direkt wahrnehmbar,
aber in seinen Folgen gravierender, ist die aus der lang-
fristigen Aufbringung von Gülle herrührende Nitratan-
reicherung des Grundwassers.
Abgesehen von solchen Clustern standortungebun-
dener Agrarwirtschaft hat die Landwirtschaft in den
hoch industrialisierten Ländern Europas heute nicht
mehr primär die Funktion, landwirtschaftliche Pro-
dukte zu erzeugen. Der Landwirt wird vielmehr immer
mehr zum „Kulturlandschaftspfleger“, der weniger für
seine Produkte als vielmehr für seine „ökologische
Funktion“ subventioniert wird. Der ländliche Raum hat
in diesem Verständnis auch eine ökologische Ausgleichs-
funktion gegenüber den rasch wachsenden, von vielerlei
Belastungsparametern geprägten Verdichtungsräumen.
Der Landwirt als Kulturlandschafts-
pfleger - Tendenzen der Agrar-
landschaftsentwicklung in Europa
und Ansätze einer europäischen
Kulturlandschaftspolitik
Winfried Schenk
Die europäischen Agrarlandschaften sind derzeit durch
zwei gegenläufige Prozesse gekennzeichnet, zum Ersten
durch Intensivierungen der agrarischen Produktion und
zum Zweiten durch Extensivierungen der agrarischen
Nutzungen bis hin zu deren Aufgabe. Ersteres ist vor
allem in Räumen mit günstigen agrarischen Standort-
faktoren zu beobachten, die optimalen Maschinenein-
satz zulassen - das sind gute bis sehr gute Böden bei
geringer Reliefenergie in klimatischen Gunstregionen,
im Idealfall verbunden mit großen Schlägen als Folge
von Kollektivierungen und Flurbereinigungen. Letzteres
betrifft vor allem Mittelgebirge, die agrarisch nutzbaren
Bereiche von Hochgebirgen und die Ränder der Öku-
mene.
In beiden Fällen sind Veränderungen hinsichtlich
Strukturreichtum, Artenvielfalt und landschaftlicher
Ästhetik zu beobachten, im ersteren Falle durch die
Anpassung der landschaftlichen Strukturen an immer
größere und effektivere Maschinen, im zweiten Fall
durch das Ausbleiben von agrarischer Nutzung, was
kurzfristig zu Verbuschungen und langfristig zur
Wiederbewaldung von Agrarland führt; in Europa
nimmt daher seit Jahren die Waldfläche leicht zu. Diese
Veränderungen der Agrarlandschaften werden vor allem
im Naturschutz und der Denkmalpflege als Bedrohung
der noch immer reichlich vorhandenen historischen
Substanz in den europäischen Agrarlandschaften gewer-
tet, nämlich durch:
Zerstörung von Lebensräumen von Flora und Fauna,
da eine große Zahl der in Europa heimischen Pflan-
zen und Tiere sich auf die spezifischen Bedingungen
historischer Kulturlandschaften eingestellt hat oder
nur dort überleben kann - man kann von einem flo-
ristischen und faunistischen Gedächtnis der Arten
sprechen, das in historischen Umweltbedingungen
begründet ist
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