Geography Reference
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Kapitel 5
Europa als
Wirtschaftsmotor
und Wirtschaftsmacht
Hans Gebhardt
Für Millionen von Flüchtlingen aus Süd- und Südostasien, aus den Krisenregionen des
Vorderen Orients und dem shatterbelt Zentralafrikas ist Europa zum Zielkontinent einer
von Jahr zu Jahr zunehmenden Zuwanderung geworden. Die Hoffnung auf ein besseres
Leben, die Flucht vor Hungerkatastrophen, vor Milizenherrschaft mit privatisierter Ge-
walt oder vielleicht auch nur Neugier und Abenteuerlust sind die Motive der Migration.
Den Flüchtlingen sind die erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern
des Halbkontinents zunächst wohl kaum bewusst. Rasch jedoch ordnen sich die Migran-
tenströme. Nicht wenige Flüchtlinge benutzen die „Südländer“ Europas, Italien, Grie-
chenland oder Spanien, nur als Transitstationen auf ihrem Weg in den wohlhabenden
Norden oder Nordwesten, insbesondere ins Zielland Großbritannien. Hingegen waren
die Neu-EU-Staaten in Südosteuropa, Bulgarien und Rumänien, noch in den 1990er-Jah-
ren selbst Auswanderungsregionen, ebenso das bitterarme Albanien.
Wirtschaftlich gesehen ist damit Europa nicht gleich Europa. Bruttoinlandsprodukt
(BIP) und Wohlfahrtsindikatoren divergieren zwischen Nord und Süd, mehr noch zwi-
schen Ost und West. An die Stelle des „Eisernen Vorhangs“ ist die Wohlfahrtsgrenze des
„Klubs Europa“ getreten, der das Schengen-Europa gegenüber dem „Europa der Out-
casts“ im Osten (Weißrussland, Ukraine) abgrenzt. Auch innerhalb der Europäischen
Union haben sich die Disparitäten vergrößert. Gegenüber dem Europa der Sechs führte
die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in den 1970er-Jahren zu einer deutlichen Vergrö-
ßerung der internen räumlichen Gegensätze. Die Relation zwischen dem Staat mit dem
niedrigsten und dem höchsten BIP pro Kopf betrug bei den sechs Gründungsmitgliedern
etwa 1 : 2, seit der Süderweiterung der Gemeinschaft aber bereits 1 : 6 (Abb. 1).
Bei den nationalen Durchschnittswerten des Bruttoinlandproduktes je Einwohner er-
reichen die neuen Mitglieder Ost- und Südosteuropas nicht einmal die Hälfte des euro-
päischen Durchschnitts. Aber auch ein deutliches Nord-Süd-Gefälle zwischen West- und
Nordeuropa einerseits und den Mittelmeerländern Griechenland, Spanien, Italien und
Portugal wird deutlich.
Die Abbildung 2 macht zugleich deutlich, dass innerhalb der einzelnen Staaten noch
weitaus größere Unterschiede auftreten als zwischen den Staaten. So übertrifft das
Maximum in den Niederlanden den dortigen minimalen Wert um das 2,6-fache, auch in
Belgien sind die innerstaatlichen Disparitäten riesig. In Deutschland haben sich die
Gegensätze seit der Wiedervereinigung verschärft.
Fast parallel zu den internationalen und intranationalen Disparitäten des BIP in
Europa verläuft das Verteilungsbild der Arbeitsmarktsituation und Armutsgefährdung.
Niedrigste Arbeitslosenzahlen werden in Süddeutschland und Norditalien erreicht,
höchste Werte in Irland, Süditalien und Spanien.
Die Armutsgefährdung in den einzelnen Staaten ist abhängig von deren gesamt-
wirtschaftlicher Situation und dem Umfang der jeweiligen Unterstützungszahlungen.
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