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meinsamkeit“ aufweisen, dass sie derzeit oder mögli-
cherweise noch für längere Zeit außerhalb der Gemein-
schaft stehen werden, sozusagen die „Outcasts“ des
Klubs. Hierzu zählen in erster Linie die diktatorischen
Systeme oder jene einer „gelenkten Demokratie“ in
Weißrussland und in Russland, aber auch die Ukraine,
einige kleine Staaten an der EU-Peripherie (Molda-
wien) sowie eine Reihe von Nachfolgestaaten des frü-
heren Jugoslawiens (Serbien und Bosnien-Herzego-
wina). Schließlich ist noch der europäische Sonderfall
Albanien zu nennen, das unbekannte Land der „Skipe-
taren“.
Neben solchen „Outcasts“ stehen einige Staaten, wel-
che sich - nach einer Reihe von Volksabstimmungen -
aus unterschiedlichen Gründen nicht der EU ange-
schlossen haben: die freiwilligen „Außenseiter“ Schweiz,
Norwegen sowie Island.
Wichtigster „Zahlmeister“ der EU mit über 6 Milliar-
den Euro pro Jahr ist Deutschland; Frankreich zahlt
rund 2,9 Milliarden in die gemeinsame Kasse, Großbri-
tannien noch 1,5 Milliarden. Empfängerländer sind vor
allem Spanien (über 6 Milliarden) und Griechenland
(fast 4 Milliarden). Solche Asymmetrien hatten schon in
der Vergangenheit für Kontroversen gesorgt. Unverges-
sen ist die harsche Forderung der früheren britischen
Premierministerin Margaret Thatcher: „I want my money
back.“ Die erfolgreiche Schweizer Volkswirtschaft würde
bei einem Beitritt gleichsam automatisch ebenfalls
zum Zahler. Als sich die Schweiz 1992 gegen den Beitritt
zum Europäischen Wirtschaftsraum und für den Allein-
gang entschloss, spielten allerdings auch soziale Ängste
der Eidgenossen eine wesentliche Rolle - die bekannten
Sorgen vor Einwanderung und Überfremdung. Zum
Problem würden bei einem Beitritt der Schweiz auch die
konkurrenzlos günstigen Steuersätze, welche vor allem
Frankreich und Deutschland ein Dorn im Auge sind.
Die Schweiz ist in ihrer Sicht gegenüber der EU aller-
dings in der Regel regional gespalten. Während eine
Mehrheit der Bevölkerung in der französisch-sprachi-
gen Schweiz, insbesondere in der Region am Genfer See,
einen Beitritt befürworten würde, sperren sich die
innerschweizerischen Kantone besonders hartnäckig da-
gegen.
Die norwegischen Wähler haben ebenfalls einen EU-
Beitritt 1972 und 1994 in Volksabstimmungen abge-
lehnt. Norwegen ist allerdings durch den Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) und die Teilnahme am Schen-
gen-Raum sehr eng mit der EU verbunden. Für diese
Einbettung leistet das Land auch einen finanziellen
Kohäsionsbeitrag. Warum Norwegen der Union nicht
beitritt, formulierte der norwegische Botschafter in
Deutschland im Jahr 2005 in politisch-korrekter Dik-
tion wie folgt: „Dafür gibt es viele Ursachen, wovon ich
hier nur einige erwähnen werde. Norwegen ist eine
junge Nation, die ihre Unabhängigkeit erst in moderner
Zeit erworben hat und deren Bevölkerung deshalb un-
gern ihre Souveränität abgibt. Das Land liegt am Rande
Europas, und die Bevölkerung, besonders im Norden
und Westen des Landes, empfinden die Entfernung nach
Brüssel als weit. Dazu kommt natürlich die Tatsache,
dass es Norwegen zur Zeit wirtschaftlich gut geht, und
dass die EU für die meisten norwegischen Bürger keine
wirklichen ,Anreize' hat, auch wenn man grundsätzlich
gegenüber der EU positiv gesinnt ist. Die Fischerei spielt
eine wichtige Rolle für die Regionen Norwegens. Ob-
wohl die Fischer gern freien Zugang zu dem EU-
Binnenmarkt hätten, wollen sie ungern Verwaltungs-
rechte über die eigenen Fischereiressourcen an die EU
abgeben“ (www.norwegen.no).
Ähnlich wie in der Schweiz spielt das finanzielle
Argument eine wichtige Rolle. Norwegen als „Rentier-
staat“ mit erheblichen Einkünften aus der Erdölförde-
Die freiwilligen Outsider: Schweiz,
Norwegen und Island
„Die Schweiz liegt im Herzen Europas und ist doch nicht
Teil davon.“ Auf diesen kurzen Nenner bringt Michael
Hermann (2009) den schweizerischen Umgang mit
Europa. Er führt diese Sonderrolle und die verbreitete
Skepsis gegenüber Europa auf die Geschichte der Eidge-
nossenschaft zurück. Die Schweiz ist keine Nation im
klassischen Verständnis des 19. Jahrhunderts, denn das
Land ist nicht nur konfessionell geteilt, sondern besteht
aus vier Sprachregionen, von denen drei eng mit ihren
die gleiche Sprache teilenden Nachbarländern verbun-
den sind. Entsprechend begreift sich die Schweiz als
„Willensnation“, die ihre Existenz einer aktiven, die kul-
turellen Gegensätzen überwindenden Willensleistung zu
verdanken hat. Nationale Symbole und Mythen können
daher nicht auf eine Sprache oder gemeinsame Kultur-
tradition rekurrieren, „sondern auf den geteilten Willen
zur Unabhängigkeit und an der Abgrenzung gegenüber
großen, übergeordneten Herrschaftsstrukturen. Das
politische Sich-Abgrenzen bildet gewissermaßen die rai-
son d'ètre des Landes“ (ebd.).
Diese „Abgrenzungsphilosophie“ entfaltet ihre Wir-
kung allerdings vorwiegend auf der symbolischen
Ebene. In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Schweiz als
kleine, offene Volkswirtschaft bekanntlich ausgespro-
chen international ausgerichtet. „Die Schweizer setzen
treu und schnell Richtlinien der EU um, sind aber stolz
auf ihre Neutralität“ („Der Spiegel“ vom 22.3.2007). Die
Skepsis vor allem der deutsch-schweizerischen Bevölke-
rung gegenüber der EU und ihren Institutionen leitet
sich neben dem Abgrenzungswillen auch von der Be-
fürchtung ab, künftig zu einem der Nettozahler der
Gemeinschaft zu werden, ähnlich wie dies auch in Nor-
wegen der Fall ist (Abb. 4.36).
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