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schen, den westungarischen und südpolnischen Raum.
Ähnliches gilt für Linz, Passau, Dresden oder Berlin mit
jeweils anderen Hinterländern. Arbeiten im ehemaligen
„Westen“ und leben zu Hause ermöglicht nicht nur ein
höheres Einkommen zu erzielen, sondern auch dieses
durch die realen Kaufkraftunterschiede vor Ort noch-
mals zu steigern. Privates Kapital fließt über die Pend-
lerhaushalte in die Grenzregionen und verändert damit
deren Kulturlandschaft. Häuser wurden saniert, Neu-
bauten errichtet, prächtige Einfriedungen und große
Garagen legen ein Zeugnis dieses neuen privaten Wohl-
standes ab.
Dazu kommt die Tatsache, dass die westlichen
Grenzgebiete bevorzugte Standorte für Betriebsverla-
gerungen oder für Betriebsneugründungen wurden.
Diese umfassen große „Herzeigeprojekte“ wie die Er-
richtung des Audi-Motorenwerkes in Györ oder das
General-Motors-Werk in Sankt Gotthard, aber auch
viele kleine unternehmerische Aktivitäten. In Klein-
Wieselburg (Mosonmagyaróvár), einer Kleinstadt an
der ungarisch-österreichischen Grenze mit rund 30 000
Einwohnern, gibt es zahlreiche Zahnkliniken, die - oft
in Kombination mit einem Wochenendaufenthalt - um-
fassende zahnärztliche Dienstleistungen zu niedrigen
Preisen anbieten. Neben diesen humankapitalintensi-
ven Dienstleistungen werden auch andere persönliche
Dienstleistungen angeboten. Das Spektrum reicht von
Friseur, Kosmetik, Massage, Thermalbad bis zur Prosti-
tution und einschlägigen Nachtklubs.
Im Vergleich dazu benachteiligt erwiesen sich östli-
che Grenzgebiete und alle mittleren und kleineren
Städte, insbesondere dann, wenn deren industrielle
Basis gefährdet ist oder wegfällt. Die östlichen Grenzge-
biete stellen jedenfalls eine neue Peripherie dar, die vom
Nordosten Polens bis zur ungarisch-rumänischen Gren-
ze reicht. Diese peripheren Gebiete sind relativ dünn
besiedelt, agrarisch geprägt, wenig urbanisiert und wei-
sen große infrastrukturelle Defizite auf. Die Attraktivität
in Bezug auf Investitionen ist sowohl für ausländische
als auch für inländische Unternehmer gering, ökonomi-
sche Impulse sind nur vereinzelt zu erwarten. Dafür
sprechen auch die niedrige Kaufkraft jenseits der Grenze
(in Litauen, in Weißrussland, in der Ukraine oder in
Moldawien) und die damit verbundenen geringen Pro-
fiterwartungen. „It is therefore very likely that the eastern
wall will become the ‚dead end' of Central Europe“ (Gor-
zelak 1996).
Problematisch verlief auch die Entwicklung in den
großen und monostrukturell ausgerichteten Industrie-
städten und Industrierevieren. Das Erbe der 1950er-
und 1960er-Jahre, als die Industrialisierung als ein
Mittel zur Umwandlung der bürgerlichen Gesellschaft
und zum „Überholen des Westens“ massiv betrieben
wurde, erweist sich im Zuge der Transformation als
besonders problematisch. Die industriellen „Giganten“
innerstädtischer blight
gentrification, Aufwertung
Altindustrie
Großwohnanlage
(Plattenbau)
neuer Wohnpark
Fachmarktzentrum
Einkaufszentrum
Autobahnknoten
Abb. 4.34 Modellhafte Skizze der Transformation in ostmittel-
europäischen Städten.
zeiteinrichtung. In Prag-Zli ˇín an der D5 oder entlang
der M1 in Budaörs ist alles vertreten, was auch die Stadt-
umländer westeuropäischer Städte kennzeichnet (von
IKEA bis METRO). Und dazwischen entstanden neue
Geschosswohnbauten, Reihenhaussiedlungen und luxu-
riöse Einzelhausverbauungen für die neuen Mittel- und
Oberschichten. Der abgewohnte Baubestand am Stadt-
rand und in der Kernstadt blieb dagegen zurück, seine
Sanierung wurde zur Aufgabe der öffentlichen Hand
ebenso wie die Unterbringung von sozial Bedürftigen,
die neu auf dem Wohnungsmarkt auftraten (Abb. 4.34).
Räumliche Segregationsprozesse nahmen jedenfalls zu,
die sozialräumliche Differenz wurde akzentuiert und ist
in den Stadtbildern nicht mehr zu übersehen.
Als ebenfalls begünstigt stellten sich alle Grenzgebiete
zum westlichen Ausland heraus. Durch die räumliche
Nähe zu westeuropäischen Produktionsstandorten und
Arbeitsmärkten partizipieren die westlichen Grenzge-
biete durch Betriebsverlagerung und Pendelwanderung.
Die Rekrutierungsgebiete der städtischen, agrarischen
oder touristischen Arbeitsmärkte in Ostösterreich en-
den nicht mehr an der March, der Thaya und am Neu-
siedler See, sondern erstrecken sich in den westslowaki-
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