Geography Reference
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Schließlich wurden die Verknüpfungen zwischen
den Ländern im östlichen Europa und jenen im Westen
in der geographischen Transformationsforschung zu-
nehmend thematisiert, nicht nur in der Geographie,
sondern auch in den Nachbardisziplinen. Die Konzen-
tration lag dabei eindeutig auf dem Gebiet der Wande-
rungen. Die Rückkehr historischer Wanderungsmuster
vom östlichen Europa in den Westen wurde ebenso
zum Gegenstand der Forschung wie die Veränderung
der Einzugsbereiche städtischer Arbeitsmärkte entlang
des ehemaligen „Eisernen Vorhanges“ (Fassmann et al.
1999). Eine besondere Aktualität und Relevanz erlangte
die Forschung im Rahmen der Beitrittsverhandlungen
der damaligen Kandidatenländer mit der EU. Ange-
sichts der bis heute noch andauernden signifikanten
Lohnunterschiede waren und sind die Fragen ob, wie
und wann die Grenzen für Arbeitsmigration zu öffnen
sind, von besonderem Interesse. Die wenigen empiri-
schen Arbeiten, die eine Abschätzung der erwartbaren
Migration bei Gewährung der Niederlassungsfreiheit
zum Inhalt hatten, relativierten die gängigen Vorurteile
und übertriebenen Ängste, verwiesen aber auch auf die
reale Existenz eines tatsächlich vorhandenen Migra-
tionspotenzials (Fassmann & Hintermann 1997, Brü-
cker & Franzmeyer 1997, Dietz & Walterskirchen 1998,
Straubhaar 2002). Nach der Ausformulierung der Bei-
trittsbedingungen und der Verabschiedung der Über-
gangsbestimmungen hat das Interesse an dieser Frage
aber abgenommen. Thematisiert wurden nun die Pro-
zesse nach dem erfolgten Beitritt und die realen Aus-
wirkungen auf die Ost-West-Wanderung (Vidovic 2009)
sowie die Struktur und Funktion ausgewählter Migra-
tionen (Wanderungen Hochqualifizierter, Rückwan-
derungen, transnationale Pendelwanderung) auf die
Transformationsprozesse im Herkunfts- und Zielland
(Wolfeil 2007). Mit dieser Öffnung der Fragestellungen
wird aber auch das disziplinäre Feld der geographi-
schen Transformationsforschung verlassen. Migrations-
forschung ist von ihrer Natur her multidisziplinär ver-
ankert und damit auch im Interesse der Soziologie, der
Politologie, der Ökonomie und vieler anderer benach-
barter Disziplinen.
Die geographische Transformationsforschung hat zu
einer Reihe von empirisch abgesicherten Erkenntnissen
geführt. Vieles von dem, was in der ersten Hälfte der
1990er-Jahre noch umstritten und zu wissenschaftlichen
Diskussionen geführt hat, kann heute als geklärt be-
trachtet werden. So kann die häufig vernehmbare Vor-
stellung, wonach Transformation eine nachholende
Entwicklung darstellt, die zu ähnlichen ökonomischen,
sozialen und räumlichen Strukturen führt wie in West-
europa, mit Sicherheit ad acta gelegt werden. Das plan-
wirtschaftliche System hat Strukturen hinterlassen, die
nicht mehr rückgängig zu machen sind, und damit eine
Ausgangsbasis für etwas „Neues“ erzeugt. Die Kollekti-
vierung der Landwirtschaft - als ein Beispiel - hat sehr
spezifische Nutzungs- und Eigentumsstrukturen ge-
schaffen, die de facto nicht mehr verändert werden
können und die sich von Staat zu Staat unterscheiden.
Die Frage, wie die einzelnen Staaten mit diesen Struktu-
ren umgehen, ist sehr unterschiedlich. Eine einheitlich
konvergente Entwicklung kann nicht argumentiert wer-
den, ganz im Gegenteil. Ungarn, ehemals ein Sonderfall
im kommunistischen System und erfolgsverwöhnt in
den ersten Jahren der Transformation, kämpft zwei Jahr-
zehnte später mit erheblichen soziökonomischen und
politischen Problemen. Polen, ein vergleichsweise armes
und agrarisch geprägtes Land, welches eine radikale
Transformationspolitik betrieben hat, präsentiert sich
am Beginn des 21. Jahrhunderts sozioökonomisch ge-
festigt. Geographische Strukturen und politische Ent-
scheidungen der Vorperiode haben eine lange Halbwerts-
zeit und wirken längerfristig nach. Die Konvergenzthese
konnte, wie vorhergesagt, nicht bestätigt werden.
Das stützt die zweite These, die sich als weitgehend
zutreffend erwiesen hat, nämlich die These der nationa-
len Sonderwege. Das ökonomische Monitoring der Staa-
ten Ostmitteleuropas und die Analyse der wirtschafts-
und sozialpolitischen Maßnahmen belegen die diver-
genten Entwicklungspfade, die in den 1990er-Jahren be-
schritten worden sind. Sie führten zu einer zunehmen-
den Differenzierung der Staaten Ostmitteleuropas. Diese
unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihres staat-
lichen Aufbaus, der gewählten Privatisierungsstrategie,
hinsichtlich der ökonomischen Erfolge oder Misserfol-
ge, der innen- und außenpolitischen Zielrichtungen,
sondern auch hinsichtlich der Akzeptanz durch Westeu-
ropa, als neue Partner in internationale Organisationen
aufgenommen zu werden, erheblich voneinander. War
früher die Bezeichnung „Ostblock“ bereits eine undiffe-
renzierte Begrifflichkeit, so muss heute mehr denn je auf
die staatliche Unterschiedlichkeit Rücksicht genommen
werden (Cséfalvay 2007).
Die dritte These der regionalen Transformationsfor-
schung skizzierte das allgemeine geographische Muster
von Bevorzugung und Benachteiligung: Sie beschrieb
den Standortvorteil der großen Städte und der west-
lichen Grenzgebiete und die Benachteiligung der peri-
pheren ländlichen Regionen, insbesondere in den öst-
lichen Landesteilen. Schließlich wurde die spezifische
Problematik der großen und monostrukturierten In-
dustriestädte hervorgehoben (Abb. 4.33).
Tatsächlich erwiesen sich die Hauptstädte der Staaten
des östlichen Europas als die Wachstumspole der natio-
nalen Wirtschaft mit geringer Arbeitslosigkeit und
einem hohen Zufluss ausländischen Kapitals.
„In more
general terms, it is becoming clear that all four countries
have their unquestionable leaders of transformation,
which have already demonstrated the highest potential for
restructuring and a great capability for adoption to new