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Vorhang“ verschwand, die politische Zweiteilung Euro-
pas löste sich auf und die Staaten der ehemals kommu-
nistischen Machtsphäre fanden den Weg „zurück nach
Europa“, mit all seinen Konsequenzen. Innerhalb der
Geographie entstand daraufhin eine eigene Forschungs-
richtung, die sich mit dem Prozess der Umwandlung
und besonders mit den damit verbundenen räumlichen
Konsequenzen befasste. Denn es war absehbar, dass mit
der Installierung eines neuen politischen, ökonomi-
schen und sozialen Systems auch neue räumliche Struk-
turen entstehen, die gleichzeitig zu einer Verstärkung
gesellschaftlicher und räumlicher Ungleichheiten füh-
ren. Für eine Disziplin, die für sich gesellschaftliche Be-
deutung beansprucht, war es daher naheliegend, diese
neuen Phänomene zu thematisieren und wissenschaft-
lich zu bearbeiten.
Die Forschungsrichtung, die sich mit der Umwand-
lung des politischen, ökonomischen und sozialen Sys-
tems und dessen räumlichen Konsequenzen befasste,
wurde in der Geographie als Transformationsforschung
bezeichnet. Sie hat sich als solche bis heute erhalten,
wenn auch die Intensität der Forschung und die Zahl der
Forscher zurückgegangen sind.
Dem Begriff „Transformation“ ist eine längere fach-
interne Diskussion vorangegangen. Manche bevorzug-
ten den Begriff „Transition“, andere sprachen von einer
nachholenden Modernisierung, andere wieder von einem
beschleunigten Strukturwandel. Durchgesetzt hat sich
schließlich Transformation, ein Begriff, der aus dem
Lateinischen kommt und so viel wie „etwas hinübertra-
gen“ bedeutet, auch „sich umbilden“ oder „verwan-
deln“: Er hebt das aktive Moment der Umgestaltung
durch die Gesellschaft und durch politisch handelnde
Menschen hervor und wird damit der historischen Rea-
lität sehr viel besser gerecht als beispielsweise Transition,
die eher einen kontinuierlichen und inkrementell ablau-
fenden Veränderungsprozess kennzeichnet.
Die Entpolitisierung des Übergangs vom Plan zum
Markt wird begrifflich noch weiter getrieben, wenn
anstelle von Transformation Strukturwandel eingefor-
dert wird - was an der Außergewöhnlichkeit der Ereig-
nisse nach 1989/90 vollkommen vorbeigeht -, aber auch
dann, wenn diese Phase als eine zeitlich verschobene
Modernisierungsentwicklung oder als Nachholen einer
postfordistischen Etappe angesehen wird. „With a great
deal of simplification one may say that the post-socialist
transformation is a shift from fordist to post-fordist type of
organization of economic, social and political life“ (Gor-
zelak 1996). Transformation wird damit in den Rahmen
langfristiger gesellschaftlicher Entwicklungstrends ge-
stellt. Die „Logik“ dieser langfristigen Entwicklungs-
trends, die durch viele Faktoren gesteuert werden und
deren politische Beeinflussbarkeit gering ist, impliziert
die Austauschbarkeit eines bedeutenden Ereignisses von
historischer Einmaligkeit durch den Determinismus
einer langfristigen Entwicklung.
Die Themen der geographischen Transformations-
forschung waren und sind vielfältig, aber dennoch
fokussierbar auf die Frage, welche räumlichen Konse-
Abb. 4.31 Die in der kommunistischen Zeit an der Donau auf-
gebaute „neue sozialistische“ Stadt Dunaújváros (Wohnblock
und Arbeiterdenkmal) musste nach der politischen Wende
1990 baulich erneuert und in neue wirtschaftliche Strukturen
überführt werden (Fotos: Hans Gebhardt).
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