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Spannungs- und Konfliktpotenzial, das sich in einander
ausschließenden multinationalen Organisationen wie der
NATO oder der EG auf westlicher und dem Warschauer
Pakt sowie dem RGW auf östlicher Seite institutionali-
sierte. Fast 50 Jahre getrennte Entwicklung ließen in
dem von der Sowjetunion dominierten Osteuropa auch
eine „andere politische Kultur, andere politisch/psycho-
logische Mechanismen, andersartige wirtschaftliche Wir-
kungszusammenhänge, abweichende Perzeptionsmus-
ter und spezifische Denkstrukturen [entstehen], deren
wirkliches Ausmaß erst jetzt deutlich wird - bei dem
Versuch, die Teilung zu überwinden“ (Jakobeit & Yenal
1993).
Unter politisch-geographischen Gesichtspunkten las-
sen sich für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg drei
Staatengruppen unterscheiden: die Staaten unter dem
(ehemaligen) sowjetischen Herrschaftssystem, die neu-
tralen (blockfreien) Staaten und die Staaten der Europä-
ischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Freihan-
delszone (EFTA).
Diskursfragmente
einzelne Argumentations-
stränge (Beispiele gekürzt)
politische
Diskursfragmente
Konsolidierung
Integration, Vertiefung
Hegemoniefreiheit
nationale Autonomie
Sicherheit
Werte (verschiedene)
naturräumliche Lage
Überdehnung
Mittellage
ökonomische
Diskursfragmente
kulturelle
Diskursfragmente
geodeterministische
Diskursfragmente
Abb. 4.29 Fragmente des gesellschaftlichen Diskurses zur
Begründung für künftige Außengrenzen der EU (verändert
nach: Reuber 2006).
Das folgende Unterkapitel macht sich diesen territo-
riumsordnenden Blick der EU zu eigen und blickt auf
Europa aus der Perspektive des europäischen Einigungs-
prozesses und der dabei entstehenden räumlichen
Ordnungen. Dabei unterscheiden wir, sprachlich der
Diktion des ehemaligen amerikanischen Verteidigungs-
ministers Rumsfeld folgend, verschiedene Mitglieder des
„Klubs Europa“: das „alte Europa“ vor dem Zusammen-
bruch der kommunistischen Staatenwelt, das „neue
Europa“ nach der politischen Wende um 1990, das
„Europa der Outcasts“ sowie das Europa der freiwilligen
Außenseiter (Schweiz, Norwegen etc.) und das „neoko-
loniale Europa“ von über den engeren Kontinent hin-
ausblickenden Raumordnungsvorstellungen.
Die Staaten unter dem ehemaligen
sowjetischen Herrschaftssystem
In Ost- und Südosteuropa zerschlug die stalinistische
UdSSR in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre alle Ver-
suche zur selbstbestimmten Organisation der nationa-
len Gesellschaften mit Gewalt, zuerst in Rumänien und
Bulgarien, zuletzt in der Tschechoslowakei. Überall eta-
blierten sich kommunistische Regierungen als „Volks-
demokratien“ und „Volksrepubliken“. Der RGW (seit
1949) und der Warschauer Pakt (seit 1955) sicherten
politisch, aber auch wirtschaftlich die Hegemonie der
Sowjetunion ab. Die osteuropäischen Staaten wurden
zu „Satellitenstaaten“ mit beschränkter Souveränität,
gleichgeschaltet durch Verstaatlichung der Industrie
und Kollektivierung der Landwirtschaft. Die poststali-
nistischen Regime unter Chruschtschow (1955 - 1964)
und Breschnew (1964 - 1982) lösten sich nur allmählich
vom Stalinismus. Noch bis in die 1980er-Jahre galt die
„Breschnew-Doktrin“, welche die osteuropäischen Staa-
ten quasi als „Vasallen“ der Sowjetunion ansah. Militä-
rische Interventionen wie 1953 in der DDR, 1956 in
Ungarn oder 1968 in der Tschechoslowakei unterstri-
chen diesen Anspruch nachdrücklich.
Das „alte Europa“ vor
dem Zusammenbruch der
kommunistischen Staaten in Europa
Der Zweite Weltkrieg hatte die politisch-geographische
Landkarte Europas tiefgreifend verändert. Die Nieder-
lage Großdeutschlands hatte in Mitteleuropa ein Macht-
vakuum hinterlassen, das die Sieger des Krieges auffüll-
ten, soweit ihre Panzer reichten. Mit dem Sieg der
Alliierten wurde nicht nur Deutschland geteilt, sondern
es wurde Polen nach Westen verschoben, die südost-
europäischen Staaten entstanden zum Teil in veränder-
ten Grenzen wieder, die baltischen Staaten verschwan-
den als eigenständige Nationalitäten von der Landkarte,
und zwischen Ost und West fiel der „Eiserne Vorhang“.
Die ideologisch unterfütterte Teilung Europas und
die Herausbildung von gesellschaftlich, politisch und
wirtschaftlich entgegengesetzten Systemen in West-
und Osteuropa schufen ein über die Jahrzehnte latentes
Die neutralen (blockfreien) Staaten
Eine verhältnismäßig kleine Gruppe von europäischen
Staaten, zeitweise angeführt vom Jugoslawien des Mar-
schalls Tito, definierte sich als blockfrei oder neutral.
Hierzu gehörten die Schweiz, Schweden, Finnland und
Österreich. Hatten diese Staaten noch während des Kal-
 
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