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cen. Dabei ist das Europa von heute in erster Linie das
Resultat einer tief greifenden vom Menschen angetrie-
benen Transformation dessen, was einst als Natur
bestand. Heute verfügt Europa daher von allen Konti-
nenten über den geringsten Anteil natürlicher Flächen.
Europa hat sich aber nicht nur im Inneren bedient, im
Rahmen des Kolonialismus hat es seinen Raubbau bis in
den letzten Winkel der Erde getragen und Strukturen
geschaffen, die bis heute noch fortwirken. Die histori-
sche Ökohypothek ist vielfältig, und so lässt sich ein lan-
ger ökologischer Problempfad von der Entwaldung über
die Bodenerosion, der gewaltigen Zunahme von Neo-
phyten im Zuge des europäischen Kolonialismus hin zur
Schwermetallbelastung durch den historischen Bergbau
erkennen. Eine neue Dimension eröffnete sich mit der
Industrialisierung, der Loslösung der Gesellschaften von
den regenerativen Energien Wasser und Wald hin zu fos-
silen Energieträgern mit neuen bisher unbekannten
stofflichen Veränderungen und Belastungen - der take
off in die moderne Umweltbelastung. Altlasten aus zwei
Weltkriegen und anderen militärischen Auseinanderset-
zungen stellen dabei eine weitere Facette dar.
Konstituierend für das aktuelle ökologische Europa
wurden die offensichtlich gewordenen Grenzen der
Belastung im Zuge der Wirtschaftswunderjahre, die zur
Begründung der Umweltbewegung führten und zur Ent-
deckung der Umwelt als politisches Aktionsfeld. Beson-
deres Gewicht erhielt das ökologische Europa vor allem
durch die manifesten Umweltkatastrophen, die zum
ökologischen Fanal gerieten: die Chemieunfälle 1976 in
Seveso und 1986 beim Unternehmen Sandoz in der
Schweiz, die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986,
das „Waldsterben“ der 1980er-Jahre, Tankerunfälle wie
Prestige 2002 oder die 2009 bekannt gewordenen Lecka-
gen von vermeintlich sicheren Atommüllendlagerstätten
wie Asse. Sie verweisen neben den Dauerbrennern wie
Klimawandel und dessen Folgen, Verlust an Biodiver-
sität, invasiven Arten, Energiefrage, Landnutzungswan-
del und den Fragen der Wasser- und Luftqualität auf die
Defizite und Problembereiche in dem von weitreichen-
der Transformation und ökologischen Belastungen ge-
prägten Europa des Übermaßes und der Übernutzung.
Der Gegenentwurf zeigt ein Europa innovativer
Umweltpolitik, weltmarktführender Umwelttechnolo-
gien, weitgreifender Umweltplanung und verbesserter
Umweltqualität. Europa ist vor allem auch der Konti-
nent, der sich mit umfassenden rechtlichen Regelungen,
wie der Wasserrahmenrichtlinie oder der FFH-Richtli-
nie (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie), und den Natura-
2000-Schutzgebieten einen weitreichenden ökologisch
motivierten Handlungsrahmen gegeben hat. Europa
steht für die Leitbilder und Werthaltungen, die als west-
licher Lebensstil die Ressourcenproblematik in seiner
ganzen Bandbreite und global entfacht haben, aber eben
auch in der Lage sind, in von globaler Verantwortung
getragenen Konzeptionen die Gegenentwürfe zu entwi-
ckeln.
Aus dem europäischen Kontext entstanden globale
Gedankenentwürfe wie die von Dennis L. Meadows
publizierten „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome
1972, der Brundtland-Report von 1986 und schließlich
die Präsentation des Nachhaltigkeitsgedankens auf der
UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in
Rio de Janeiro (Rio-Konferenz). Andererseits ist die EU
weit davon entfernt, ein einheitliches Bild zu vermitteln,
wie beispielsweise die Behandlung und Umsetzung des
Kyoto-Protokolls
oder des Nachhaltigkeitsgedankens
verdeutlicht.
Abb. 1.9 Tanklager in Barcelona. Von
Tanklagern gehen vielfältige Risiken
aus: potenzielle Brandgefahr, Geruchs-
belästigung und - wie auch im abge-
bildeten Beispiel - aufgrund der
„kritischen“ Lage in der Nähe von
Wasserflächen die mögliche Konta-
mination von Wasser im Havariefall
(Foto: Rüdiger Glaser).
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