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Exkurs 1.5
„Lange Wellen“ der Wirtschaftsentwicklung
Die zentrale Aussage der bekannten Theorie der „Langen Wel-
len“, welche einen allgemeinen Erklärungszusammenhang für
die langfristige wirtschaftliche Entwicklung liefert (zurück-
gehend auf den österreichisch-amerikanischen Ökonomen
Joseph Alois Schumpeter und den russischen Wirtschaftswis-
senschaftler Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew), lautet, dass
grundlegende technische Neuerungen (Basisinnovationen) in
zyklischen Abständen gehäuft auftreten und lange Wachs-
tumsschübe auszulösen vermögen. Neue Industriesektoren
„treten zunächst mit den traditionell vorherrschenden Bran-
chen in einen ,ruinösen' Wettbewerb um knappe Produk-
tionsfaktoren und leiten dadurch einen wirtschaftlichen Ab-
schwung ein. Nachdem sich die neuen Industriesektoren
durchgesetzt haben, generieren Wachstums- und Multiplika-
toreffekte einen neuen Aufschwung“ (Bathelt 1994). Die Ba-
sisinnovationen schaffen also als Produktinnovationen grund-
legende Veränderungen im bestehenden Wirtschaftssystem.
Langfristig entsteht somit eine wirtschaftliche Entwick-
lung in Wellenform. In der Regel werden fünf „Lange Wel-
len“ mit einer Zyklenlänge von jeweils etwa 50 bis 60 Jah-
ren unterschieden. Herausragende Innovationen des ersten
Zyklus waren die Dampfkraft und Fortschritte in der Textil-
und Eisenindustrie, beim zweiten waren es Neuerungen im
Verkehrswesen (Eisenbahn, Dampfschiffe) und in der Eisen-
und Stahlindustrie. Die dritte Welle war vom Einsatz von
Benzin- und Elektromotoren sowie von Erfindungen in der
chemischen Industrie ausgelöst, die vierte vom Einsatz
von Elektronik im Produktionsprozess sowie von Erfindun-
gen in der Petrochemie bestimmt. Als Basisinnovationen
der nächsten, fünften „Langen Welle“ werden neben der
Mikroelektronik die Bio- und Gentechnologie angesehen, in
jüngerer Zeit auch Innovationen im Bereich des Gesund-
heitswesens (Nefiodow 2000).
Die Industrieentwicklung in Europa vollzog sich,
etwas vereinfacht gesehen, in verschiedenen „Langen
Wellen“, welche jeweils unterschiedliche Regionen in
die verschiedenen Phasen eines „Produktlebenszyklus“
brachten (Exkurs 1.5).
Räumlich - und damit für Geographen interessant -
wird die Theorie der „Langen Wellen“ beziehungsweise
des Produktlebenszyklus vor allem, weil es von Welle
zu Welle zu großräumigen Schwerpunktverlagerungen
wirtschaftlicher Aktivitäten kam. War während der
ersten Welle England (Manchester) das Zentrum sowie
im zweiten Zyklus zusätzlich das Ruhrgebiet und die
Ostküste der USA, so konzentrierte sich die dritte
und vierte Welle in den USA, Japan und Deutschland
(Abb. 1.6).
Damit stehen sich, stark vereinfacht, altindustriali-
sierte Regionen, bei denen die Industrieentwicklung
schon sehr früh eingesetzt hat und deren Schlüsselpro-
Zeitraum (ca.)
Industrie
Erfolgreiche Regionen
1. Welle
1787-
Textilverarbeitung,
England:
Manchester
1842
Dampfkraft, Eisen
2. Welle
1843-
Montanindustrie,
England
1897
Chemische Industrie,
Deutschland: Ruhrgebiet
Eisenbahnbau
USA:
Pittsburgh, US-Ostküste
3. Welle
1898-
Elektrizität, Petro-
USA:
Große-Seen-Region
1940
chemische Industrie,
Deutschland: Berlin
Stahlverarbeitung,
England
Automobile
4. Welle
1941-
Elektronik,
USA:
Route 128, Silicon Valley,
1995
synthetische
Orange County
Materialien,
Japan:
Kwanto (Tokyo),
Petrochemie
Osaka-Kobe-Kyoto-Dreieck
Deutschland: Baden-Württemberg (Stuttgart),
Südbayern (München), Hessen
5. Welle
1995-
Mikroelektronik,
Südostasien: selektive Inwertsetzung
?
Optoelektronik,
(footloose industrial districts)
Abb. 1.6 Erfolgreiche Länder und
Regionen im Verlauf der „Langen
Wellen“ (verändert nach: Schätzl 2003).
Biotechnologie,
neue Werkstoffe
 
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