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Abb. 1 Karikaturistische Darstel-
lung der Festung Europa.
sche Verständnis von Interaktionsräumen weicht hier also
einem territorialen Verständnis physischer, räumlicher Ab-
grenzung.
Die Koexistenz beider Verständnisse in politisch-geogra-
phischen Raumkonstruktionen der EU weist also beträchtli-
che Widersprüchlichkeiten auf. Dem Ideal eines verwobe-
nen, hoch mobilen und netzwerkartigen Raumes im Inneren
sowie mit global wichtigen, externen Knotenpunkte steht
ein territorial fixiertes, relativ starr abgrenzendes Raumver-
ständnis an den Außengrenzen der EU entgegen. Vor allen
Dingen hinsichtlich restriktiver Flüchtlings- und Einwande-
rungspolitiken an den Süd- und Ostgrenzen der EU wird
diesbezüglich häufig der Begriff der „Festung Europa“ be-
müht (Abb. 1; Armstrong & Anderson 2006, Houtum & Boe-
deltje 2009, Vogt 1994). Das Abkommen von Schengen
steht in gewisser Weise exemplarisch für beiderlei Raum-
verständnisse: Abbau innereuropäischer Grenzen und Auf-
bau eines einheitlichen externen Grenzregimes. Die innelie-
gende Widersprüchlichkeit verwundert jedoch vor dem
Hintergrund jahrzehntelanger Bestrebungen, die internen
Interaktionsräume und Erfahrungen der europäischen Inte-
gration auch als Grundlage externer Beziehungen zu veran-
kern.
Historische Kontextualisierung
darauf beruht, dass sie gemessen am Bruttoinlandspro-
dukt den weltweit größten integrierten Markt mit ent-
sprechendem Wirtschaftspotenzial darstellt. Ist die
Europäische Union (EU) aber mehr als der größte
Markt? Welche politischen Qualitäten hat die EU? Löst
die Europäische Union etwa die Nationalstaaten als
regulierende und normierende Instanz ab?
Um diese Fragen zu beantworten, erfolgt im nächsten
Schritt ein kurzer historischer Abriss zu den politischen
Qualitäten des europäischen Projektes. Danach wird der
Fokus auf die aktuelle Politik geworfen, um abschlie-
ßend die Form von Staatlichkeit in der EU zu analysie-
ren.
Treibende Kraft des europäischen Integrationsprozesses
waren zunächst Versuche, einen gemeinsamen Wirt-
schaftsraum zu schaffen. In der ersten Periode von 1950
bis in die Mitte der 1970er-Jahre wurden verschiedene
Maßnahmen zum Schutz der einheimischen Landwirt-
schaft, Kontrolle der Kohle- und Stahlindustrie, zum
Einsatzes der Nukleartechnik (Abb. 3.31) und einer
gemeinsamen Handelspolitik ergriffen. Faktisch blieben
die Integrationsbemühungen in dieser Phase jedoch
begrenzt. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft war
vor allem eine unterstützende Struktur zur Stabilisie-
rung und Differenzierung souveräner Nationalstaaten
und ihrer Wirtschaften durch Handel. Wohl aufgrund
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