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Die EG ist somit, laut Bull, auch kein Akteur im interna-
tionalen System, sondern eher ein Instrument zur
Kooperation zwischen Regierungen. Entsprechende
Akteursqualität könne auch nicht erreicht werden,
solange keine militärische Macht zur Verfügung stünde
(Bull 1982).
Geopolitische Debatten zur globalen Identität und
Rolle der EU, meist bezugnehmend auf Duchênes Zivil-
machtsansatz, sind seit den frühen 1970er-Jahren ver-
stärkt zu Zeiten geopolitischer Veränderungen und
Ungewissheit aufgeflammt, oft verbunden mit dem
Anspruch, Europa als zivileren globalen Akteur im Ver-
gleich zu militärischen Großmächten (später v. a. den
USA) zu positionieren (Bachmann & Sidaway 2009).
Die ersten Debatten um Duchêne waren hierbei keine
Ausnahmen. Europa wurde klar als positiver, friedlicher
und stabilisierender Akteur angesehen, dessen globaler
Einfluss nur zunehmen konnte und welcher sein „zivili-
siertes“ System politisch-ökonomischer Interaktion und
Organisation weltweit aktiv vorantreiben sollte. Dies
hatte immer sowohl deskriptiven als auch visionären
Charakter, das heißt, es wurde versucht, die globale
Identität und Rolle des sich integrierenden Europa auf-
zuzeigen, und gleichzeitig wurde es als eine Vision für
zukünftige Positionierung ausgegeben. Diese normati-
ven Debatten distanzierten sich zwar inhaltlich von
Kolonialgeschichte und Imperialismus, strukturell je-
doch waren sie von einer ähnlichen Überzeugung eines
höherwertigen europäischen Politiksystems geprägt.
Dennoch kann hier nicht von einer Fortsetzung des
europäischen Expansionsdenkens gesprochen werden;
zu unterschiedlich sind die Voraussetzung und Grund-
annahmen zu verschiedenen geopolitischen Denkrich-
tungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine kri-
tische Auseinandersetzung mit der problembehafteten
Vergangenheit geopolitischer Exzesse verschiedener eu-
ropäischer Länder blieb jedoch genauso aus wie eine mit
kontemporär, sozialkritischen Einwänden, zum Beispiel
solchen von Galtung.
wicklungszusammenarbeit, die aus dem Europäischen
Entwicklungsfonds finanziert wurde. Sie richtete sich in
den ersten Jahren vorzugsweise auf ehemalige Kolonien
der Mitgliedsstaaten. Außerdem wurde die gemeinsame
Regional- und Sozialpolitik nach der ersten Erweiterung
etabliert, um die regionalen Disparitäten innerhalb der
Gemeinschaft zu reduzieren und die entsprechenden
nationalen Politiken zu ergänzen.
Ihr Ziel ist es, die Niveaus der strukturellen Rahmen-
bedingungen in den Regionen anzugleichen (Konver-
genz). Entsprechende Maßnahmen zielen auf die Ver-
besserung regionaler Wettbewerbsfähigkeit. In der
Übersetzung in eine raumorientierte Politik durch die
Strukturfonds der EU bedeutet dies oft, die Infrastruk-
turen zur Teilnahme am gemeinsamen Markt zu schaf-
fen oder zu auszubauen, womit die europaweite räumli-
che Arbeitsteiligkeit und Zusammenarbeit gefördert
wird. Die neue Bezeichnung „Kohäsionspolitik“ - 1993
wurde zusätzlich ein Kohäsionsfonds eingerichtet - für
dieses Instrument macht die mit ihr verbundenen Inten-
tionen deutlicher (Kapitel 4).
Für die nationale Souveränität bedeutet die Regional-
politik die Anerkennung der Regionen als eigenständig
über die Staatsgrenzen hinaus handelnde politische
Subjekte. Sie sind in der EU im Ausschuss der Regionen
politisch vertreten und können die europäische, supra-
staatliche Politikebene direkt adressieren. Derartige
internationale Beziehungen sind normalerweise exklusi-
ves Politikfeld der nationalen Ebene.
Die zunehmend intensiveren ökonomischen Ver-
flechtungen innerhalb der EWG/EG legte die Beseiti-
gung weiterer Handelshemmnisse nahe. In den Anfangs-
jahren hatten die Mitglieder der EWG die Wechselkurse
ihrer Währungen durch feste Verhältniswerte zum US-
Dollar als Weltleitwährung geregelt. Nachdem der Dol-
lar nicht mehr als Leitwährung funktionierte, war eine
alternative Lösung, die unternehmerische Risiken von
zu großen Wechselkursschwankungen reduzierte bzw.
die Staaten in ihrer volkswirtschaftliche Leistungsfähig-
keit stärker aneinander band, nötig. Dem 1979 einge-
führten Europäischen Währungssystem (EWS) traten
deshalb alle Mitglieder der EG bis auf Großbritannien
bei. Es regelte die Spannweiten, innerhalb derer die
Wechselkurse der nationalen Währungen von einem
gemeinsamen Leitkurs abweichen durften, immer mit
dem Ziel, größtmögliche Stabilität zu erreichen. Die
Währung des EWS war der ECU, eine Verrechnungs-
währung, deren Wert sich anteilig über die Umrech-
nungskurse der nationalen Währungen sowie den jewei-
ligen Beitrag der nationalen Volkswirtschaften zum BIP
und zum Handelsvolumen der EG ermittelt wurde. Die
wirtschaftliche Schwäche Italiens, später auch Spaniens
und Portugals machte eine individuelle Erhöhung dieser
Spannen nötig. Als Dänemark und Frankreich Anfang
der 1990er-Jahre Schwierigkeiten bekamen, die Krite-
Der Reformdiskussion seit den
1970er-Jahren
Sebastian Lentz
Nachdem 1968 die Zollunion verwirklicht worden war,
wurde der Aufbau einer Wirtschafts- und Währungs-
union bis 1980 vereinbart. Mit einer über den gemeinsa-
men Markt hinausgehenden politischen Vertiefung
taten sich die Mitglieder aber aufgrund von sehr diver-
gierenden nationalen Interessenlagen nach wie vor
schwer. Der Ausweg bestand darin, zunächst auf weniger
umstrittenen Politikfeldern eine koordinierte bzw.
gemeinsame Politik zu etablieren. Dazu gehörte die Ent-
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