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begannen, zur Vertiefung ihrer Zusammenarbeit Kom-
petenzen, die üblicherweise der nationalen Souveränität
zugerechnet werden, an die gemeinsame Organisation
abzugeben. Dazu gehört, aus raumwissenschaftlicher
Perspektive besonders interessant, beispielsweise die
Entwicklungspolitik für strukturschwache Regionen, die
nun teilweise durch die europäische Investitionsbank
wahrgenommen wird (Kapitel 4). Durch die Zusam-
menlegung von EWG, EGKS und Euratom entstand
1967 die Europäische Gemeinschaft (EG).
In Europa entstand bereits 1960 mit der European
Free Trade Association (EFTA) ein alternativer Wirt-
schaftsverbund, in dem Großbritannien, Schweden,
Dänemark, Norwegen, Portugal, Schweiz und Öster-
reich ebenfalls eine Zollunion eingingen. Die wirtschaft-
liche Dynamik war allerdings in der EWG deutlich grö-
ßer, sodass Großbritannien, Irland, Dänemark und
Norwegen noch in den 1960er-Jahren Aufnahmeanträge
an die EWG stellten. In den Folgejahren näherten sich
die beiden Wirtschaftsverbünde durch Abkommen
einander immer stärker an. Mit den Beitritten von
Großbritannien, Irland und Dänemark 1973 zur EG
(„Norderweiterung“) wurde mit den verbleibenden
EFTA-Mitgliedern ein vollständiges Freihandelsabkom-
men für Industrie- und Gewerbegüter vereinbart.
Ein sehr prominentes und zugleich problematisches
Aktivitätsfeld der EWG war und ist die gemeinsame
Agrarpolitik. In der Gründungszeit war sie mit der Ab-
sicht begonnen worden, die Versorgung der Bevölke-
rung mit preisgünstigen Nahrungsmitteln sicherzustel-
len und den Bauern im Rahmen der allgemeinen
Wohlstandsentwicklung angemessene Einkommen zu
ermöglichen. Außerdem sollten den Agrarbetrieben
Produktionsanreize gegeben werden, die eine Anglei-
chung der Leistungsfähigkeit an Industrie- und Dienst-
leistungsbetriebe bewirken sollten. Der daraus resultie-
rende Zielkonflikt, der unter anderem eine weitgehende
Abschottung des Agrarmarkts gegenüber dem Welt-
markt nach sich zog, machte ständige Anpassungen der
Steuerungsinstrumente notwendig, die zwischen Pro-
duktionsförderung und Marktausgleichsmaßnahmen
(z. B. staatliche Aufkäufe, Lagerung, subventionierte
Abverkäufe auf den Weltmarkt bis hin zur Vernichtung
von Lebensmittelüberschüssen) schwankten. Die Ge-
meinsame Agrarpolitik wurde bis zu ihrer jüngsten
Reform zum teuersten Sektor der Europäischen Politi-
ken (Kap. 5).
Bereits seit 1949 existierte neben der EG mit dem Rat
für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, engl. COMECON
für Council for Mutual Economic Assistance ) in Ost-
europa zeitgleich ein weiterer Wirtschaftsverbund in
Europa. Er war zunächst als Gegenstück zum US-ameri-
kanischen Marshallplan als Aufbauhilfe für die Staaten
im Einflussbereich der Sowjetunion gegründet worden
und koordinierte vor allem die Industrieproduktion in
den jeweiligen Planwirtschaften (Abb. 3.27a), um
mittels Spezialisierung und Arbeitsteilung eine Steige-
rung der Effizienz zu erreichen.
Bis 1973 wurden innerhalb der EWG/EG die Europä-
ische Kommission, der Europäische Gerichtshof und
eine erste Zollunion geschaffen. Damit waren aber
zunächst keine weiteren, konsequenten Schritte hin zu
einer tieferen politischen Integration verbunden, die
beispielsweise die Legitimation der Institutionen durch
ein direkt gewähltes Parlament oder eine militärische
Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft umfasst hätten.
Alte Großmachtkontroversen
in den Auseinandersetzungen
um die ersten Beitritte
Veit Bachmann
„Die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft von
sechs zu neun Ländern einschließlich Großbritanniens
erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem das politische Sys-
tem weltweit in Fluß gekommen zu sein scheint. […]
Gleichzeitig sind […] bisher ungewohnte Töne eines
zunehmenden Wettbewerbs zwischen den bislang un-
schlagbaren Vereinigten Staaten und dem bislang weit
zurückgebliebenen Westeuropa und Japan zu hören“
(Duchêne 1973).
Die Beitritte von Dänemark, Großbritannien und
Irland zu den Europäischen Gemeinschaften (EG) im
Jahre 1973 vollzogen sich zu Zeiten massiver geopoliti-
scher Veränderungen. Das Ende der Finanzarchitektur
von Bretton Woods, die Ölkrise 1973 und der Viet-
namkrieg deuteten eine beginnende Schwächung des
US-amerikanischen Hegemonialsystems an, während
zeitgleich der (massiv amerikanisch unterstützte) wirt-
schaftliche Wiederaufbau und die Integration der west-
europäischen Volkswirtschaften den Ländern der Euro-
päischen Gemeinschaften einen rasanten Aufstieg
bescherten (Abb. 3.28).
Damit einhergehend gab es Debatten zur kollektiven
Identität und Rolle Europas in der Welt, in erster Linie
assoziiert mit der Idee Europas als „Zivilmacht“
(Duchêne 1972, 1973, Kohnstamm & Hager 1973,
Mayne 1972, Shonfield 1973, Twitchett 1976). Diese
Debatten einte die Überzeugung, dass sich seit dem
Ende des Zweiten Weltkrieges ein System politisch-öko-
nomischer Organisation entwickelte, welches von
Kooperation, Interdependenz und „gemeinsamen Spiel-
regeln“ (Duchêne 1973) geprägt ist. Der Grundgedanke
bestand darin, diese Art und Weise eines innereuropäi-
schen, „zivilisierten“ internationalen Systems auf die
zwischenstaatlichen Beziehungen - nicht nur der EG-
Mitgliedsstaaten, sondern auch auf solche mit dritten
Ländern - zu übertragen. Internationale Beziehungen
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