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Exkurs 3.5
Bevölkerungsgeographische und kulturlandschaftliche
Veränderungen in Kroatien
Am Beispiel der vor 1995 überwiegend von Serben bewohn-
ten Gebiete Kroatiens an der Grenze zu Bosnien-Herzego-
wina lassen sich exemplarisch die kulturlandschaftlichen
Verheerungen sowie die damit einhergehenden massiven
bevölkerungsgeographischen Veränderungen im Gefolge der
Bürgerkriege im früheren Jugoslawien illustrieren (Abb. 1).
1991 hatten serbische Milizen und Teile der früheren
jugoslawischen Volksarmee rund ein Drittel Kroatiens er-
obert, insbesondere die von Serben bewohnten Gebiete in
der Nähe der Grenze zu Bosnien-Herzegowina bis hin zur
Küste bei Zadar. Ziel Serbiens war es, die dortige kroatische
Bevölkerung zu vertreiben und die Kontrolle über ein zu-
sammenhängendes Territorium zu bekommen, um so den
Anschluss der serbisch besiedelten Gebiete an ein „Rest-
Jugoslawien“ zu vollziehen. Erst Ende 1991 gelang es der
kroatischen Armee, ihre Verteidigungslinien zu konsoli-
dieren.
Der „Rollback“ der kroatischen Armee und Polizei setzte
im August 1995 mit der Militäroperation „Oluja“ (kroatisch
„Sturm“) ein, in der die verbliebenen serbisch kontrollierten
Gebiete der Krajina erobert und damit der Krieg in Kroatien
beendet wurde. Dem führenden kroatischen General Ante
Gotovina werden schwere Kriegsverbrechen gegen serbi-
sche Zivilisten bei dieser Militäraktion vorgeworfen; er steht
vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Die heutige Kulturlandschaft spiegelt diese jüngere
Geschichte wider. Alte Bauernhöfe, die vor dem Konflikt von
Serben bewohnt wurden, sind meistens verlassen und zer-
stört. An ihrer Stelle entstehen nicht selten neue, vom kro-
atischen Staat finanziell geförderte Wohnhäuser. In der
Regel entstehen auch neue Kirchen anstelle der teilweise
zerstörten orthodoxen Gotteshäuser; in den 1995 wieder-
gewonnenen Gebieten erfolgt eine gleichsam „symbolische
Landnahme“.
Abb. 1 Wohnhäuser wurden in den Auseinandersetzungen der 1990er-Jahren häufig zerstört. An ihrer Stelle stehen heute
oft neu gebaute Häuser wie hier in der Nähe von Petrinja (Fotos: Hans Gebhardt).
Fazit
gilt, in ganz besonderem Maße, für die Situation im
Süden des ehemaligen Jugoslawiens. Das vorliegende
Teilkapitel hat am Beispiel ausgewählter Konfliktregio-
nen sowohl im östlichen wie westlichen Europa ver-
sucht, den oft langen Entwicklungspfad solcher Kon-
flikte nachzuzeichnen und dabei insgesondere die
geographical imaginations , welche Auseinandersetzun-
gen um Raum und Macht bestimmen, exemplarisch
aufzuzeigen. Die lange Konfliktgeschichte erschwert da-
bei häufig eine rasche Lösung der Konflikte.
Seit über 60 Jahren herrscht zwischen den Staaten Euro-
pas Frieden und innerhalb der Europäischen Union eine
zunehmende politische und auch wirtschaftliche Inte-
gration. Innerhalb der Staaten jedoch haben, verstärkt
seit dem Ende des Kalten Krieges nach 1990, einige
Regionalkonflikte durchaus ihre Bedeutung behalten.
Das gilt für Nordirland ebenso wie aktuell für Belgien, es
galt bis in die jüngste Zeit für das Baskenland, und es
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