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1970er-Jahre auch realisiert. Im Wesentlichen sah das
Statut eine Kompetenzverlagerung von der Region auf
die Provinz vor und eine proportionale Beteiligung der
deutschen, italienischen und ladinischen Bevölkerungs-
gruppe am öffentlichen Leben sowie auf den verschie-
densten administrativen Gebieten. Eine Volksgruppen-
erhebung Anfang der 1980er-Jahre bildete hierfür die
Grundlage.
Eine Bewertung der Situation Südtirols aus heutiger
Sicht ist nicht ganz einfach. Das Autonomiestatut hat
sicherlich den Konflikt befriedet und die früher massiv
gefährdete kulturelle und wirtschaftliche Selbstbestim-
mung der deutschsprachigen Volksgruppe gesichert. Auf
der anderen Seite ist das Statut in Vielem ein Dokument
aus einer vergangenen Zeit. Viele jüngere Südtiroler sind
inzwischen in beiden Kulturen groß geworden, haben
zum Beispiel in Innsbruck und Bologna studiert, und
eine strikte Abgrenzungsstrategie und deren Zementie-
rung wird dieser Situation, auch und gerade in einem
vereinten Europa, eigentlich nicht mehr gerecht. Manche
Proporzbestimmungen, insbesondere der Sprachnach-
weis bei Einstellung in den öffentlichen Dienst, haben
vor allem die Italiener benachteiligt. Diese sprechen in
der Regel kein Deutsch, wohl aber umgekehrt die
deutschsprachigen Südtiroler Italienisch. In manchen
Bereichen fühlen sich heute Italiener in der Rolle einer
ausgeschlossenen Minderheit. Insgesamt allerdings hat
sich die Region, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer touris-
tischen Attraktivität, tatsächlich zu einem in mancher
Hinsicht transnationalen Gebiet entwickelt, wo „der
Norden dem Süden begegnet“ (Dörrenhaus 1959).
Parallel zur Konfessionszugehörigkeit laufen in der
Regel die politischen Grundüberzeugungen. Die Katho-
liken hängen mehrheitlich den Nationalisten bzw. den
Republikanern an. Katholik ist damit gleichbedeutend
mit Befürworter der Vereinigung Nordirlands mit der
Republik. Die meisten Protestanten hingegen bezeich-
nen sich als britische Staatsbürger und bestehen als
Unionisten auf die Zugehörigkeit zu Großbritannien.
Für Irlands Besiedlungsgeschichte war dabei immer
die Nähe zu England bestimmend. England betrachtete
Irland lange Zeit als Teil des eigenen Territoriums. Dieser
britische und protestantische Einfluss begann sich seit
dem 16. Jahrhundert verstärkt durchzusetzen. 1541 ließ
sich Heinrich VIII. (1491 - 1547) auch zum König von
Irland ausrufen. Elisabeth I. (1558 - 1603) trieb in einer
kriegerischen Auseinandersetzung die irischen Earls in
die Verbannung und untermauerte den englischen
Machtanspruch für die ganze Insel. Mit der Anlage von
ersten Gründungsstädten ( plantation towns ) setzte auch
kulturgeographisch eine neue Entwicklung ein, die 1609
mit rund 20 Neugründungen von Städten und Stadt-
rechtsverleihungen in Ulster einen Höhepunkt erreichte.
Die Siedler der Gründungsstädte kamen durchweg
aus England und Schottland. Falls sich Iren angesiedelt
hatten oder bereits vorher dort lebten, wurden sie, wie in
Londonderry, vertrieben. Der irische Bevölkerungsteil
wurde damit immer mehr in die landwirtschaftlichen
Ungunsträume verdrängt und nach und nach systema-
tisch enteignet. Im Jahre 1695 wurden von den Protes-
tanten eine Reihe von Gesetzen erlassen, die Penal Laws,
welche die Katholiken letztlich vom gesamten öffent-
lichen Leben ausschlossen, unter anderem auch den
Besitz von Waffen verboten. Vor allem war es ihnen ver-
boten, Land zu kaufen, und sie durften es auch nicht
länger als 31 Jahre pachten. Da Iren und Katholiken für
die frühe Neuzeit praktisch gleichgesetzt werden kön-
nen, lassen sich die Ausmaße der irischen Enteignung
am Anteil der katholischen Landbesitzer ablesen. 1603
gehörte ihnen noch 90 Prozent des gesamten Landes,
1641 waren es 59 Prozent, 1688 noch 22 Prozent, 1703
14 Prozent und um 1800 nur noch 5 Prozent.
Nach einem Aufstand 1800 antwortete London mit
einer Union zwischen Irland und England; das irische
Parlament in Dublin wurde aufgelöst. Die protestanti-
schen Landbesitzer gründeten eine Selbstschutzorgani-
sation, die sie nach Wilhelm von Oranien den „Orange-
orden“ nannten. Damit war endgültig eine Polarisierung
geschaffen, die bis in die jüngste Vergangenheit Irland in
Unruhe hielt: auf der einen Seite der irisch-katholische
Nationalismus, auf der anderen Seite der protestantisch-
britische Unionismus.
Ein Ventil gegenüber der ökonomischen Benachteili-
gung des katholischen Irlands war während des gesam-
ten 19. Jahrhunderts die Auswanderung, insbesondere
in die USA. Gleichwohl entstand vor dem Hintergrund
Beispiel Nordirland -
ein ruhender Konflikt?
Der Nordirlandkonflikt, welcher die Menschen in
Europa vor allem in den letzten Jahrzehnten des
20. Jahrhunderts erschüttert hat, wird in der politischen
Berichterstattung gerne auf die Dimension eines Reli-
gionskonflikts reduziert. Dem Thema wird man aber
eher bei Betrachtung der historischen Entwicklung und
der wirtschafts- bzw. sozialgeographischen Gegensätze
auf der irischen Insel gerecht.
Irland ist zweigeteilt: Die Republik Irland nimmt
etwa 70 000 Quadratkilometer Fläche ein und hat eine
Bevölkerungszahl von etwa 3,5 Millionen Menschen.
Fast alle Einwohner sind Angehörige der römisch-ka-
tholischen Kirche. Hauptstadt und Regierungssitz ist
Dublin. Nordirland umfasst etwa 14 000 Quadratkilo-
meter Fläche und ist mit 1,5 Millionen Menschen deut-
lich dichter besiedelt als die Republik. Über 60 Prozent
der Einwohner sind protestantischer Konfession. Die
Hauptstadt ist Belfast. Nordirland ist Teil des König-
reichs Großbritannien (Abb. 3.23).
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