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sorgung kaum noch möglich war: Ihre Wirtschaft spezi-
alisierte sich auf Produkte, die den Anbaubedingungen
optimal angepasst waren, und handelte sie in andere
Regionen. Für den Erlös konnten die Güter, die man
nicht mehr selbst produzierte, eingetauscht oder einge-
kauft werden. Das Risiko, die Selbstversorgung aufzuge-
ben, wurde in diesen Fällen durch die Verbindung mit
anderen Räumen beseitigt. Nicht zuletzt die Geldwirt-
schaft hat diese Form der räumlichen Arbeitsteiligkeit
vereinfacht. Beispiele für entsprechende Kulturland-
schaftselemente sind wiederum in den Alpen zu finden.
Während des hochmittelalterlichen Klimaoptimums
wurden in der Höhenstufe der alpinen Weiden Dauer-
siedlungen gegründet. Die Feudalherren erschlossen
sich so Teile ihrer Grundherrschaft, die bis dahin noch
wenig bis gar nicht durch ständige Präsenz von loyalen
Untertanen gesichert waren. Bekannt ist diese Höhen-
kolonisation unter anderem unter dem Namen der
Walsersiedlungen oder Walserwanderung, weil Siedler
mit der Erleichterung von Abgaben und besonderen
Erbrechten aus der Region des oberen Wallis angewor-
ben wurden. Dort hatte man bereits Erfahrung mit einer
auf Grünland und Viehhaltung konzentrierten Wirt-
schaftsweise. Wegen der großen Flächen, die die Höfe in
großer Höhenlage mit geringen Erträgen (kurze Vegeta-
tionszeiten) brauchten, entstand eine Siedlungsland-
schaft von Streu- und Einzelhöfen (Abb. 2.61). Im öst-
lichen Teil der Zentralalpen, in Tirol, waren es die
Schwaigen oder Schwaighöfe, die diese spezialisierte
Wirtschaft betrieben. Die entscheidende Voraussetzung
dafür war, dass man aus der Viehwirtschaft längerfristig
haltbare Produkte erzeugen konnte, die vom Markt
nachgefragt wurden. Dies war mit der Produktion von
haltbarem Hartkäse oder Schafwolle, die zum Beispiel
zu wasserabweisendem Lodenstoff verarbeitet werden
konnte, gegeben. Sie wurden teilweise als Abgaben an die
Feudalherren gezahlt, teilweise wurden sie von den
Landwirten selbst auf den Märkten gehandelt. Hartkäse
war nicht nur als Grundnahrungsmittel, sondern eben
auch im weiteren Handel so bedeutend, dass mit ihm
teilweise auch Entlohnungen gezahlt werden konnten,
das heißt, er fungierte in einer Wirtschaft, in der Natu-
ralzinsen eine wichtige Rolle spielten, als allgemeineres
Zahlungsmittel (Pacher 1993).
Ein weiteres historisches Beispiel für die Strategie, die
naturräumliche Ausstattung von Regionen so zu kombi-
nieren, dass die Risiken für Ertragseinbußen möglichst
gering werden, ist die Transhumanz als spezielle Form
der Viehhaltung. Sie war am stärksten in den Mittel-
meerländern verbreitet. In diesem Fall geht es darum,
dass genügend Niederschläge für eine ausreichende Fut-
terbasis für Rinder, Ziegen oder Schafe sorgen sollten.
Deshalb wurden die Viehherden im jahreszeitlichen
Rhythmus zu verschiedenen, weiter auseinandergelege-
nen Weideplätzen gebracht, und zwar von Hirten beglei-
tet. Im Sommer waren die Tiere im Bergland und kamen
im Herbst und über den Winter in die Niederungen.
Dort weideten sie nicht zuletzt die abgeernteten Felder
noch einmal ab und düngten die Äcker. Mit dieser
mobilen Viehhaltung ist also auch eine Form von Dop-
pelnutzung von Flächen verbunden. Eine Voraussetzung
ist deshalb eine vergleichsweise extensive Landwirt-
schaft, die das Treiben der Viehherden über abgeerntete
Felder erlaubt bzw. von der natürlichen Düngung wäh-
rend der Beweidung profitiert. Damit verbunden sind
Weide-, Zugangs- und Durchzugsrechte in allen Gebie-
ten, durch die die Triebwege der Herden führen. Mit der
modernen Intensivierung der Landwirtschaft und der
Einführung des Kunstdüngers, der Auflösung von All-
menden und der Veränderung von Anbauzyklen im
Ackerbau ist diese Form der extensiven Landwirtschaft
sehr zurückgegangen, in weiten Teilen Italiens und Spa-
niens verschwunden. In Projekten, die die unter ande-
rem die EU fördert, wird versucht, sie als kulturelles
Erbe in der Erinnerung der Bevölkerung lebendig zu
halten (Abb. 2.61).
Auch die Kulturlandschaft der Schwaighöfe und
Walsersiedlungen ist durch die Integration der Alpen in
eine gesamteuropäische Tourismuswirtschaft soweit
überprägt worden, dass ihre hochmittelalterlichen Wur-
zeln kaum noch erkennbar sind. Dabei wird in den
Alpen durchaus noch Landwirtschaft betrieben, die auf
internationale Märkte ausgerichtet ist. Ihre Konkurrenz-
fähigkeit verdankt sie meist der Konzentration auf ein-
zelne Produkte und der gezielten Ausrichtung auf öko-
nomische Nischen.
Streben nach Sicherheit:
urbane Konsummuster und
ihre Kulturlandschaften
Im Etschtal erstreckt sich über mehr als 100 Kilometer
eine fast ununterbrochene Landschaft, die von Obst-
und Gemüsebau in Monokultur und Daueranbau
geprägt ist. Auf mehr als 18 000 Hektar werden allein
Äpfel angebaut, jährlich werden etwa 1 Million Tonnen
geerntet (ca. 10 Prozent der EU-Apfelproduktion). Das
für empfindliche Obstsorten nicht unbedingt optimale
Klima wird durch Maßnahmen wie Beregnung (sowohl
gegen Wassermangel als auch gegen Spätfröste im Früh-
jahr) und Gewächshaus- bzw. Folienanbau (für Ge-
müse) kompensiert. Aber die Standorte zwischen 200
und mehr als 800 Meter Höhenlage haben auch Vorteile
für den Obstbau. Insbesondere die gute Durchlüftung
verhindert die Ausbreitung von Pflanzenkrankheiten.
Zwar waren Äpfel in den Alpen bereits Bestandteil der
bäuerlichen Selbstversorgerlandwirtschaft des Mittelal-
ters, aber die Ausbreitung des Anbaus und der überre-
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